Kündigung eines Schwerbehinderten grundsätzlich wirksam trotz unterlassener rechtzeitiger Benachrichtigung nach § 84 I SGB IX

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Sobald „Schwierigkeiten“ im Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnis eines Schwerbehinderten auftreten, muss der Arbeitgeber nach § 84 SGB IX u.a. die Schwerbehindertenvertretung und das Integrationsamt informieren, damit der Arbeitsplatz des Betroffenen nach Möglichkeit erhalten werden kann. Die zu benachrichtigenden Stellen sollen auf alle zur Verfügung stehenden Hilfsmöglichkeiten inklusive etwaiger finanzieller Leistungen hinweisen und beratend zur Seite stehen, um eine Kündigung abzuwenden. Irrelevant ist dabei, ob die sich stellenden Probleme personen-, verhaltens- oder betriebsbedingt sind und ob sie im (direkten) Bezug zur Schwerbehinderung stehen.

Für einen betroffenen Arbeitnehmer stellt sich natürlich die Frage, welche Auswirkungen es auf die arbeitgeberseitige Kündigung hat, wenn er entlassen wird, ohne dass der Arbeitgeber seiner Verpflichtung aus § 84 SGB IX (rechtzeitig) nachgekommen ist.

Auch unter Verweis auf die ständige Rechtsprechung des BAG hat der BGH bereits 2006 (Urteil vom 20.12.2006, Az.: BGH RiZ(R) 2/06) für diesen Fall entschieden, dass allein die Missachtung der Benachrichtigungspflicht nicht zur Unwirksamkeit einer Kündigung führt.

So sei die Entlassung einer schwerbehinderten Richterin auf Probe „nicht allein deshalb rechtswidrig“, weil das Integrationsamt nicht rechtzeitig eingeschaltet worden sei. Dieser Verstoß sei aber bei der Ausübung des Ermessens zu berücksichtigen, das gemäß § 22 I DRiG bei der Entscheidung darüber, ob ein „nicht geeigneter“ Richter auf Probe aus dem Dienstverhältnis zu entlassen sei, dem jeweiligen Dienstherren eingeräumt ist.

Der Fall betrifft eine Richterin auf Probe (Klägerin), die infolge einer Gehbehinderung zu 100% schwerbehindert ist. Der Präsident des Landgerichts, dem die Klägerin vom beklagten Land zugewiesen worden war, beurteilte sie wiederholt als für das Richteramt ungeeignet. Zwar habe sie das erforderliche Wissen, doch fehle es ihr u.a. an Urteilsvermögen und Entschlusskraft. Dabei stützte sich der Präsident vor allem auf die Tatsache, dass sich die offenen Verfahren während der siebenmonatigen Tätigkeit der Klägerin in ihrem Referat in etwa verdoppelt hatten, während sie nur zwei Urteile gesprochen hatte. Einen Zusammenhang zu der Behinderung der Klägerin sah er insoweit nicht, zumal man ihr im Rahmen des Möglichen jede Hilfe gewährt habe und sie insbesondere angebotene Hilfen ihrer Kollegen abgelehnt hatte. Die Klägerin wurde schließlich nach § 22 DRiG aus dem Dienst entlassen, ohne dass das Integrationsamt rechtzeitig informiert worden war.

Der BGH führt aus, dass die Unwirksamkeit der Kündigung einer Schwerbehinderten schon aus systematischen Gründen nicht allein aus der Verletzung des § 84 SGB IX hergeleitet werden könne. Diese Norm stehe nämlich in Kapitel 3 von Teil 2 des SGB IX, welches die „sonstigen Pflichten“ des Arbeitgebers und die „Rechte der schwerbehinderten Menschen“ regelt. Erst das sich anschließende Kapitel 4 betreffe den besonderen Kündigungsschutz schwerbehinderter Arbeitnehmer. Die Pflicht zur Benachrichtigung des Integrationsamtes und zur Einleitung von Präventionsmaßnahmen zum Erhalt eines Arbeitsverhältnisses sei daher eine bloße Fürsorgepflicht, deren Verletzung die Rechtswirksamkeit einer nachfolgenden Kündigung nicht tangiere.

Daraus folgte für den zu entscheidenden Fall, dass die Entlassung der Richterin auf Probe nicht wegen Verletzung von § 84 SGB IX unwirksam war. Der BGH stellte jedoch fest, dass die Ermessensausübung im Rahmen von § 22 DRiG fehlerhaft gewesen sei, da das beklagte Land nicht berücksichtigt habe, dass Präventionsmaßnahmen zum Erhalt des Beschäftigungsverhältnisses nicht rechtzeitig eingeleitet worden waren. Solche Maßnahmen hätten ergriffen werden müssen, als sich zeigte, dass die Klägerin ihren Verpflichtungen nicht vollständig nachkam. Der dergestalt festgestellte Ermessensfehlgebrauch habe auch zur Entlassung der Klägerin geführt, sodass die Entlassungsverfügung des beklagten Landes im Ergebnis rechtswidrig gewesen sei.

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