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[box type=”info”]Mukoviszidose, auch zystische Fibrose genannt, ist eine (rezessiv) vererbliche, angeborene Stoffwechselkrankheit, die zu einer Fehlfunktion aller sekretabsondernden Drüsen führt. Besonders betroffen sind dabei die Bronchialdrüsen, aber auch die Bauchspeicheldrüse, was eine spezielle, enzymreiche Ernährung erforderlich macht. Anzeichen der Mukoviszidose können u.a. starker Husten, Atemnot und erhöhter, durchfallähnlicher Stuhlgang sein, aber auch bläuliche, auf Sauerstoffmangel beruhende Verfärbungen beispielsweise der Lippen.[/box]

Einigkeit besteht darüber, dass Mukoviszidose-Patienten als schwerbehindert anzuerkennen sind. Allerdings gehen die Meinungen darüber, in welcher Höhe der individuelle Grad der Behinderung (GdB) zu bemessen ist, und welche Nachteilsausgleiche den Betroffenen zustehen, durchaus auseinander. Weiterlesen

Im Schwerbehindertenrecht wird der individuelle Behinderungsgrad eines Menschen (GdB) in 10er Schritten von 10 bis 100 angegeben. Die konkrete Bestimmung des GdB hängt dabei davon ab, unter welchen Gesundheitsstörungen der Antragsteller leidet, und wie diese sein tägliches Leben beeinflussen.

Eine Trigeminusneuropathie, also eine Erkrankung des Trigeminusnervs (ein sich verästelnder Hirnnerv) begründet nach einem Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 25.11.2009 (Az.: L 4 SB 174/08) bei Anwendung der einschlägigen „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ z.B. einen GdB von 40.

In dem dort entschiedenen Fall hatte der Kläger eine oberflächliche Kopfverletzung erlitten, wodurch jedoch der Trigeminusnerv beschädigt wurde. Seither litt er unter häufig auftretenden, anhaltenden Kopfschmerzen. Von mehreren Ärzten wurde ihm im Folgenden eine Trigeminusneuropathie attestiert und ein GdB von 40 vorgeschlagen, den auch das zuständige Amt – jedenfalls nach einem sozialgerichtlichen Verfahren – anerkannte. Nur einer der Ärzte hielt sogar einen GdB von 50 für angemessen, weshalb der Kläger in Berufung ging und die Anhebung seines GdB forderte. Seine Trigeminusneuropathie sei schwerbehindertenrechtlich wie eine Trigeminusneuralgie einzuordnen.

Allerdings ohne Erfolg. Das LSG weist in seinem abschlägigen Urteil darauf hin, dass der GdB die „Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen in allen Lebensbereichen“ – nicht nur im Berufsleben – erfasse. Er solle angeben, inwiefern ein Gesundheitsschaden zu körperlichen, geistigen, seelischen und/oder sozialen Folgen führt. Entscheidend ist demnach wie bereits eingangs erwähnt, wie sehr eine Gesundheitsstörung in Form von „Funktionsbeeinträchtigungen“ das Leben des Betroffenen tatsächlich beeinflusst.

Hier bestünden aber erhebliche Unterschiede zwischen einer Trigeminusneuropathie und einer nach den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ mit einem GdB von 50 – 60 einzuordnenden Trigeminusneuralgie. Letztere sei nämlich durch extreme, „stromstoßartig“ einsetzende Schmerzattacken gekennzeichnet, die mit zu den schlimmsten, für Menschen vorstellbaren Schmerzen gehören. Auch gebe es keine Möglichkeit, eine solche Attacke im Akutfall zu lindern. Infolgedessen seien Patienten, die an einer Trigeminusneuralgie leiden, überdurchschnittlich häufig von Depressionen sowie einem gesteigerten Suizidrisiko betroffen. Demgegenüber sei eine Trigeminusneuropathie „nur“ durch anhaltende Grundschmerzen und verhältnismäßig leichte Kopfschmerzattacken gekennzeichnet, die noch dazu z.B. durch Abdunkeln des Aufenthaltsraumes abgeschwächt werden könnten. Ein Trigeminusneuralgiepatient leide somit unter wesentlich stärkeren Einbußen bei der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, als jemand, der „nur“ eine Trigeminusneuropathie hat. Daraus folgert das Gericht schließlich, dass eine Gleichstellung von Trigeminusneuropathie und Trigeminusneuralgie hinsichtlich des GdB-Wertes nicht geboten sei. Vielmehr sei der in den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ (Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung) angegebene GdB-Wert von 40 als angemessen anzusehen.

Bereits mehrfach wurde an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Bewertung des individuellen Grades der Behinderung (GdB) seit dem 01.01.2009 nicht mehr nach den jeweils geltenden „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit“ (AHP) erfolgt, sondern nach den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ (VMG) der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV).

In einem Urteil vom 28.08.2009 weist das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (L 13 SB 294/07) darauf hin, dass diese VMG aber auch für Sachverhalte vor dem 01.01.2009 anzuwenden seien, sofern noch keine bestandskräftige Entscheidung über einen Behinderungsgrad nach den AHP vorliege. Ferner zeigt das Gericht dort unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Besonderheiten auf, die bei der Bewertung eines Diabetes mellitus zu beachten sind. Weiterlesen

Die Feststellung des individuellen Behinderungsgrades (GdB) oder die Anerkennung von leistungsanspruchsbegründenden Nachteilsausgleichen in Form von Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis (z.B. „Bl“, „aG“, „G“ etc.) erfolgte bis einschließlich zum 31.12.2008 nach den sog. AHP (ausgeschrieben: Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht) in der jeweils geltenden Fassung.

Bei den AHP handelte es sich nicht um einen Rechtssatz im weitesten Sinne, sondern um eine Art „vorweggenommener Sachverständigengutachten“, die es den Medizinern erleichtern sollten, den individuellen GdB eines Patienten zu beurteilen. Um eine einheitliche Bewertung sicher zu stellen, waren die Gerichte im Falle eines Rechtsstreits (z.B. um das Vorliegen einer Schwerbehinderung oder der „richtigen“ Bemessung des GdB) nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehalten, die AHP ebenfalls anzuwenden. Dadurch erlangten die AHP normähnliche bzw. gewohnheitsrechtliche Wirkung. Weiterlesen