Schlagwortarchiv für: Arbeitnehmerhaftung

Die Arbeitsgerichte sind für weitaus mehr Verfahren zuständig, als „nur” für Kündigungsschutzklagen. Nach § 2 I Nr. 3 Arbeitsgerichtsgesetz (ArbGG) entscheiden sie ferner u.a. in allen bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten zwischen einem Arbeitgeber und einem Arbeitnehmer, die sich aus dem Arbeitsverhältnis oder einer unerlaubten Handlung im Zusammenhang mit diesem ergeben.

Letzteres kann relevant werden, wenn ein Arbeitnehmer auf Missstände bei seinem Arbeitgeber hinweist, indem er (anonym) Anzeige erhebt oder sich an die Medien wendet etc. (heute auch „whistleblowing” genannt). Denn dann wird sich der Arbeitgeber nicht nur fragen, wie er den jeweiligen Arbeitnehmer „loswerden” kann, sondern auch, ob dieser wenigstens für entstandene Schäden aufkommen muss. Andererseits kann auch der Arbeitnehmer nicht ausnahmslos zum Schweigen verurteilt sein, wenn es beim Arbeitgeber zu Missständen und Unregelmäßigkeiten kommt.

Zu beiden Aspekten – Kündigung eines „lästigen” Arbeitnehmers bzw. einer Schadensersatzforderung gegen diesen – sind am 21.07.2011 Gerichtsentscheidungen ergangen.

Schadensersatz wegen anonymer Schreiben und Strafanzeigen setzt Pflichtwidrigkeit und Schadenskausalität voraus

Das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm (Az.: 11 Sa 2248/10) betrifft die Frage einer Schadensersatzhaftung des auf Fehlstände hinweisenden Arbeitnehmers. Dabei geht es um eine Chefärztin (Beklagte), die seit Juli 2007 in einer „Klinik und Poliklinik für Thorax-, Herz- und Gefäßchirurgie” (THG) tätig war. Anfang Oktober desselben Jahres kam es zu Streitigkeiten zwischen ihr, dem Klinikdirektor des THG und einigen Mitarbeitern. Deshalb erhielt sie von ihrer Arbeitgeberin (Klägerin) die Kündigung zum Ende des Folgemonats (November 2007). Als die Klägerin Kündigungsschutzklage erhob, einigte man sich auf eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.09.2008.

In der Folgezeit gingen die „Probleme” jedoch erst richtig los: Ab Ende Februar erhielt die Klägerin zunehmend Briefe, in denen sich die – zum Teil anonymen – Autoren über Qualitätsmängel empörten und auf „unklare Todesfälle” hinwiesen. Aber nicht nur die Klägerin erhielt Post, sondern auch Angehörige verstorbener Patienten. In den an diese gerichteten anonymen Schreiben hieß es, dass Todesfälle hätten vermieden werden können. Dem Südwestfunk Mainz wurde in einem weiteren anonymen Brief über 23 weitere, komplikationsreiche Fälle des THG berichtet. Zusätzlich gingen zwischen Juni und August 2008 bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm mehrere anonyme Strafanzeigen gegen den Klinikdirektor der THG wegen fahrlässiger Tötung ein. Alle Verfahren wurden jedoch eingestellt, weil der Direktor eindeutig unschuldig war.

Im September 2008 stellte sich schließlich heraus, dass all diese anonymen Briefe von dem Lebensgefährten der Beklagten geschrieben worden waren. Die Klägerin war jedoch der Ansicht, dass sie auch von der Beklagten herrührten, weil nur sie und nicht ihr Lebensgefährte über die erforderlichen Informationen verfügte. Da infolge der Schreiben immer weniger Patienten das THG aufgesucht hätten, sei ihr durch das Verhalten der Beklagten ein Schaden von mindestens 3.700.000,- € entstanden. Deshalb forderte sie von der Beklagten – und ihrem Lebensgefährten als Gesamtschuldner – einen Teilbetrag von 1.500.000,- € ein.

Die Beklagte und ihr Lebensgefährte sind hingegen der Meinung, dass die Patientenzahl nicht infolge der anonymen Schreiben zurückgegangen sei, sondern weil die Beklagte nicht mehr für das Krankenhaus arbeite.

Zunächst landete der Fall beim Arbeitsgericht Münster, das die Schadensersatzklage abwies, weil der Schaden der Klägerin der Höhe nach nicht ausreichend nachgewiesen worden sei.

Daraufhin legte diese Berufung zum LAG Hamm ein, doch auch dieses entschied zugunsten der Beklagten, allerdings mit völlig anderer Begründung: Ob die Klägerin einen Schaden erlitten habe, sei nämlich bedeutungslos, da es bereits an einem pflichtwidrigen Verhalten gefehlt habe, das überhaupt zu einem Schaden hätte führen können.

Zwar habe der Lebensgefährte der Beklagten die anonymen Schreiben verfasst und die Anzeigen erhoben. Dabei hätte er jedoch nicht damit rechnen müssen, dass Polizei und Staatsanwaltschaft den Fall derartig publik machen würden. Zudem sei es das Recht jedes Bürgers, Strafanzeige zu erstatten. Dies sei erst dann als Pflichtwidrigkeit anzusehen, wenn eine Anzeige leichtfertig oder bewusst erhoben wird, obwohl keinerlei Anlass hierzu bestand (vgl. Vortäuschen einer Straftat oder Falsche Verdächtigung gemäß §§ 145d, 164 StGB). Nur in diesem Falle könne eine (anonyme) Anzeige auch schadensersatzpflichtig machen.

Da es an diesen Voraussetzungen nach Ansicht des LAG Hamm jedoch fehlte, wies es die Schadensersatzklage der Arbeitgeberin ab. Wegen „grundsätzlicher Bedeutung” hat es aber die Revision zum Bundesarbeitsgericht zugelassen.

Fristlose Kündigung wegen einer Strafanzeige verletzt die Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers

Bekannter dürfte die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Beschwerde-Nr. 28274/08) sein, der die fristlose Kündigung einer Altenpflegerin (Beschwerdeführerin) betrifft.

Die Beschwerdeführerin war bei einem Altenpflegeheim angestellt, das dem Land Berlin gehört. Schon der Medizinische Dienst der Krankenkassen hatte 2003 festgestellt, dass die Pflege in diesem Heim deutliche Mängel aufwies. Die Altenpflegerin beschwerte sich in den Jahren 2003 und 2004 ebenfalls darüber, dass zu wenig Personal beschäftigt werde, worunter die Pflege der Heimbewohner leide. Zudem seien die (tatsächlich) erbrachten Pflegeleistungen nicht korrekt vermerkt worden.

Ende 2004 ging die Beschwerdeführerin dann noch einen Schritt weiter, indem sie gegen ihren Arbeitgeber eine Strafanzeige wegen Betrugs (§ 263 StGB) erhob, weil er in der Öffentlichkeit als Qualitätspflegeheim auftrete und sich für Leistungen bezahlen lasse, die er tatsächlich weder erbringe noch infolge des permanenten Personalmangels überhaupt erbringen könne. Die Reaktion des Arbeitgebers bestand in einer fristlosen Kündigung. Die Arbeitsgerichte hielten diese durchgängig auch für rechtswirksam.

Weil vor deutschen Gerichten somit kein Rechtsschutz zu erlangen war, wandte sich die Altenpflegerin an den EGMR und berief sich auf ihre in Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verbürgte Meinungsfreiheit, die die Arbeitsgerichte nicht hinreichend berücksichtigt hätten.

Die Meinungsfreiheit wird zwar durch die EMRK nicht uneingeschränkt geschützt. Der EMRK entschied allerdings, dass sie z.B. einem Arbeitnehmer das Recht verleihe, auf bestehende Missstände hinzuweisen. Reagiere der Arbeitgeber in dieser Situation mit einer (fristlosen) Kündigung, dann stellt diese „Strafmaßnahme” einen Eingriff in die Meinungsfreiheit des Arbeitnehmers dar. Als solcher sei die Kündigung zwar dennoch rechtfertigungsfähig, dies setze dann aber auch das Vorliegen eines hinreichenden, sachlichen Rechtfertigungsgrundes voraus.

Zwar erlaubt Art. 10 II EMRK grundsätzlich eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, wenn eine Meinungsäußerung rufschädigend wirken kann. Diesen Umstand berücksichtigt der EGMR auch im vorliegenden Fall, verweist aber auf das besondere öffentliche Interesse an der Veröffentlichung von (gravierenden) Pflegemängeln in Altenpflegeheimen. Das allgemeine Informationsbedürfnis sei hier von größerer Bedeutung als die Interessen des Arbeitgebers hinsichtlich seines Ansehens oder seiner Unternehmertätigkeit. Zugunsten der Beschwerdeführerin sprach zudem, dass sie den Weg an die Öffentlichkeit erst wählte, als sie feststellen musste, dass ihre internen Beschwerden erfolglos geblieben waren. Ferner habe sie weder leichtfertig noch vorsätzlich Unwahrheiten verbreitet.

Aus alledem folgert der EGMR, dass die Bestätigung der Kündigung durch die Arbeitsgerichte die Meinungsfreiheit der Beschwerdeführerin aus Art. 10 EMRK verletze. Deshalb sprach er ihr eine Entschädigung gegen die Bundesrepublik Deutschland in Höhe von 15.000,- € zu.

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Innerbetrieblicher Schadensausgleich:

Erbringt der Arbeitnehmer eine Schlechtleistung, so ist er dem Arbeitgeber zum Schadensersatz verpflichtet, §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB. Diese Haftung verlangt gemäß § 276 BGB, dass der Arbeitnehmer vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt hat. Es genügte daher schon eine leichte Unachtsamkeit des Arbeitnehmers, unabhängig davon, wie hoch der Schaden ist und ob die Existenz des Arbeitnehmers durch die Ersatzpflicht gefährdet würde.

Um diese Folge zu vermeiden hat die Rechtsprechung Haftungsmilderungsregeln entwickelt, die zum sog. innerbetrieblichen Schadensausgleich führen, wenn ein Schaden im Rahmen einer Tätigkeit für oder im Interesse des Betriebes entstand. Entscheidend für den Haftungsumfang des Arbeitnehmers ist demnach der ihm vorzuwerfende Grad des Verschuldens:

  • Leichteste Fahrlässigkeit: Den Arbeitnehmer trifft keine Haftung.
  • Normale/mittlere Fahrlässigkeit: Aufteilung des Schadens zwischen Arbeitgeber und -nehmer, abhängig z.B. von der Gefahrgeneigtheit der konkreten Arbeitssituation, der Schadens- und Lohnhöhe.
  • Grobe Fahrlässigkeit: Der Arbeitnehmer muss den Schaden grundsätzlich allein übernehmen. Nur in seltenen Fällen kann erneut eine Schadensaufteilung geboten sein, wenn z.B. der Schaden im krassen Missverhältnis zum Lohn des Arbeitnehmers steht (Existenzbedrohung).
  • Vorsatz: Bei vorsätzlicher Schlechtleistung haftet der Arbeitnehmer in vollem Umfange.

Ungeachtet dieser Grundsätze kann ein Verschulden des Arbeitnehmers insgesamt zu verneinen sein, wenn er sich zwar vorsätzlich falsch verhalten hat, aber nicht mit einem Schadenseintritt gerechnet hat bzw. rechnen musste. Der Verschuldensvorwurf bezieht sich somit auf Fehlverhalten und Schadenserfolg.

Diese Haftungsmilderung indes unmittelbar ferner nur im Verhältnis von Arbeitgeber und

-nehmer, nicht aber gegenüber Kollegen oder betriebsfremden Personen.

In welchem Umfang ein Arbeitnehmer haftet, hängt im Ergebnis vom konkreten Einzelfall ab. Aus diesem Grunde, vor allem aber auch zur Erörterung der Frage, welcher Verschuldensgrad als Ausgangspunkt des Haftungsumfangs anzunehmen ist, ist dringend zur Konsultation eines Anwalts zu raten.

Haftung gegenüber betriebsfremden Dritten:

Der Arbeitnehmer muss gegenüber außenstehenden Personen nach den allgemeinen Haftungsregeln des Zivilrechts für Sach- und Personenschäden aufkommen, und zwar auch dann, wenn ein Schaden im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit begründet wurde.

Der Schädiger kann aber nach den §§ 670, 675 BGB bzw. aus Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 242 BGB Regress bzw. Freistellung vom Arbeitgeber verlangen. Dieser muss nach der Rechtsprechung den Teil der Schadenshaftung gegenüber dem Dritten übernehmen, den er auch dann tragen müsste, wenn er selbst und nicht eine betriebsfremde Person geschädigt worden wäre. Die Höhe des Freistellungsanspruchs richtet sich somit mittelbar nach den Grundsätzen der innerbetrieblichen Haftung (s.o.).

Der Geschädigte kann sich direkt an den Arbeitgeber wenden. Sofern der Arbeitnehmer selbst den gesamten Schaden begleicht, kann er insoweit Ersatz vom Arbeitgeber verlangen.

Haftung gegenüber Arbeitskollegen:

Verursacht ein Arbeitnehmer die Körperverletzung eines Kollegen durch einen Arbeitsunfall, so wird er gemäß § 105 SGB VII von der Haftung freigestellt.

Das heißt, dass Schadensersatz insofern nur zu zahlen ist, sofern der Arbeitsunfall vorsätzlich oder auf einem nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 – 4 SGB VII versicherten Weg von oder zur Arbeitsstelle herbeigeführt wurde. Dies gilt auch dann, wenn der geschädigte Kollege für einen anderen Arbeitgeber, aber im selben Betrieb, tätig war.

Alle anderen Personenschäden, die nicht auf einem Arbeitsunfall beruhen, sind demgegenüber regulär zu ersetzen.

Sachschäden sind nach allgemeinen zivilrechtlichen Haftungsregeln zu erstatten, sofern den Arbeitnehmer ein Verschulden trifft. Dem Schädiger kann aber ein Freistellungsanspruch (s.o., Dritthaftung) gegen den Arbeitgeber zustehen.

Haftung für Fehlbestände:

Arbeitnehmer, die Kassen- oder Warenbestände zu kontrollieren, bzw. zu verwalten haben, unterliegen einer sog. Mankohaftung für etwaige Fehlbeträge. Diese Haftung beruht entweder auf allgemeinen Regeln oder einer vertraglichen Mankoabrede.

Durch eine Mankoabrede kann die beschränkte Arbeitnehmerinnenhaftung gegenüber dem Arbeitgeber in bestimmten Umfange erweitert werden. Hierzu muss allerdings eine Mankovergütung als Höchstgrenze als Haftungsgrenze bestimmt werden; diese Vergütung ermöglicht es dem Arbeitnehmer im Ergebnis, eine zusätzliche Entlohnung für den Fall zu erhalten, dass kein Waren- oder Kassenfehlbestand eintritt.

Fehlt eine derartige Vereinbarung, so kann die Mankohaftung auf die allgemeinen Haftungsregeln der §§ 280, 283, 823 BGB, ggf. in Verbindung mit Straftatbeständen wie Diebstahl oder Unterschlagung gestützt werden. Die Beweislast für das Verschulden des Arbeitnehmers trägt dabei regelmäßig, aber nicht stets, der Arbeitgeber (vgl. § 619a BGB).