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Ein Tarifvertrag ist ein Vertrag zwischen einer Gewerkschaft (Arbeitnehmervertretung) und einem Arbeitgeber oder einem Arbeitgeberverband. Tarifverträge bestehen aus zwei Teilen: Schuldrechtlicher Teil: Setzt Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien fest.

Normativer Teil: Klauseln, die Rechtsnormen darstellen und Abschluss, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverhältnissen ebenso betreffen wie die Betriebsverfassung (§§ 1, 4 TVG).

Die Möglichkeit, ohne staatliche Mithilfe durch Vertrag Rechtsnormen zu setzen, die unmittelbar zwingend sind, ist einzigartig und beruht auf Art 9 Abs. 3 des Grundgesetzes.

Tarifvertragsarten

Wird ein Vertrag zwischen einer Gewerkschaft und einer Arbeitgebervereinigung geschlossen, liegt ein Verbandstarifvertrag vor. Ist Vertragspartner auf Arbeitgeberseite ein einzelner Arbeitgeber, so spricht man von einem Firmentarifvertrag. Eine Zwischenform stellen firmenbezogene Verbandstarifverträge dar, die zwar durch eine Gewerkschaft und einen Arbeitgeberverband geschlossen werden, aber nur ein bestimmtes Unternehmen betreffen.

Ferner können Tarifverträge inhaltlich abgegrenzt werden. Während sich besondere Tarifverträge auf einzelne Aspekte des Arbeitslebens beziehen (z.B. Lohntarifvertrag), erstrecken sich Mantel- oder Rahmentarifverträge auf allgemeine Arbeitsbedingungen schlechthin.

Bindung an den Tarifvertrag

Grundvoraussetzung ist die Wirksamkeit des Arbeits- und Tarifvertrags; insbesondere müssen die Vertragsparteien tarifzuständig sein.

In persönlicher Hinsicht entsteht die tarifliche Bindung zunächst durch die Verbandsmitglied-schaft von Arbeitnehmer und -geber, wenn diese also Mitglied einer Gewerkschaft bzw. Arbeitgebervereinigung sind. Diese Tarifgebundenheit beginnt mit dem Eintritt in den jeweiligen Verband und bleibt trotz zwischenzeitlichem Austritt solange bestehen, wie der vereinbarte Tarifvertrag (noch) in Kraft ist (Nachbindung, § 3 Abs. 3 TVG).

Ein Arbeitgeber ist zudem an einen Firmentarifvertrag gebunden, den er selbst mit einer Arbeitnehmervereinigung geschlossen hat.

Ist nur der Arbeitgeber Mitglied einer Tarifvertragspartei, so sind die Teile eines Tarifvertrages, die betriebs- und betriebsverfassungsrechtliche Normen beinhalten, zwingend anwendbar (§ 3 Abs. 2 TVG).

Tariflich ungebunden sind demgegenüber Arbeitnehmer, die keiner Gewerkschaft angehören („Außenseiter“). Dennoch kann eine Bindungswirkung herbeigeführt werden: Zum einen, in dem ein Tarifvertrag durch den zuständigen Bundesminister für allgemeinverbindlich erklärt wird, und zum anderen durch vertragliche Vereinbarung von Arbeitgeber und -nehmer.

Durch arbeitsvertragliche Einbeziehung erlangt der Tarifvertrag insgesamt nur schuldrechtliche Wirkung. Eine derartige Vereinbarung kann ausdrücklich oder durch betriebliche Übung erfolgen, bzw. zwecks Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer geboten sein. Sie kann statisch einen ganz bestimmten Tarifvertrag, den Tarifvertrag einer bestimmten Branche oder den jeweils aktuellen Tarifvertrag einer Branche erfassen. Hiervon hängt ab, wie sich z.B. spätere Änderungen des Tarifvertrags auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Auch kann der Tarifvertrag insgesamt oder in bestimmten Teilen einbezogen werden.

In sachlicher Hinsicht kann der Geltungsbereich eines Tarifvertrages in seiner Reichweite verschieden vereinbart werden, soweit nur die Grenze der Tarifzuständigkeit gewahrt ist:

Zum einen kann der Geltungsbereich nach Branchen bestimmt werden (z.B. Tarifvertrag für metallverarbeitende Berufe). Kann ein Betrieb mehreren Branchen zugeordnet werden (sog. Mischbetrieb), ist entscheidend, welche Tätigkeiten die Arbeitnehmer überwiegend ausführen: Arbeiten z.B. 60% der Belegschaft mit Metall, so ist der Geltungsbereich eines Tarifvertrages metallverarbeitender Berufe eröffnet, auch wenn die übrigen 40% der Arbeitnehmer nach ihrem Aufgabengebiet anderen Branchen zugeordnet werden könnten.

Wird der Geltungsbereich fachlich-persönlich bestimmt, kommt es darauf an, welcher Arbeitnehmergruppe ein Beschäftigter zugeordnet werden kann, z.B. nach Beruf oder Alter. Diese Zuordnung nennt man Eingruppierung. Zeitlich gilt ein Tarifvertrag grundsätzlich ab dem Tag, an dem er geschlossen wurde, selten später oder gar rückwirkend. Der Tarifvertrag bleibt in Kraft, bis er durch Fristablauf endet, ordentlich gekündigt, durch einen neuen Vertrag ersetzt oder aufgehoben wird. Aus wichtigem Grunde kann auch eine außerordentliche Kündigung desselben die Anwendbarkeit des Tarifvertrages beenden. Dann aber muss die kündigende Partei zunächst eine Vertragsanpassung erstreben („Nachverhandlungspflicht“). Gemäß § 4 Abs. 5 TVG gilt der normative Teil eines Tarifvertrags auch nach seinem Außerkrafttreten fort, bis eine neue Vereinbarung getroffen wurde – er ist aber, wie auch die Wirkung des § 4 Abs. 5 TVG insgesamt, vertraglich abdingbar. Wird der Geltungsbereich räumlich definiert, so gilt ein Tarifvertrag für alle Betriebe, die in diesem Gebiet ihren Sitz haben.

Verhältnis von Tarifvertrag zu …

… Einzelarbeitsvertrag

Ein Arbeitsvertrag kann grds. von einem einschlägigen Tarifvertrag abweichen. Nach dem Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG ist eine Abweichung allerdings nur wirksam, solange sie den Arbeitnehmer begünstigt. Eine einzelvertragliche Benachteiligung kann den Tarifvertrag allerdings dann verdrängen, wenn dieser eine derartige Abweichung ausdrücklich zulässt (Öffnungsklausel). Maßstab des Günstigkeitsprinzips ist ein objektiver Vergleich bestimmter Regelungsgruppen. Eine Gruppe bilden z.B. die jeweiligen Vereinbarungen über Lohn und sonstige Leistungszahlungen. Die subjektive Sicht des betroffenen Arbeitnehmers ist insofern irrelevant.

Tarifverträge beinhalten jeweils Mindestregelungen, dürfen aber nicht ausschließen, dass ein Arbeitsvertrag zu übertariflichen Konditionen geschlossen wird. Auch kann der Tarifvertrag nicht individualvertragliche Rechte oder Ansprüche des Arbeitnehmers beschneiden. Denkbar ist aber eine Verrechnung von übertariflichen Leistungen aus dem individuellen Arbeitsvertrag mit Verbesserungen tariflicher Leistungen, sodass ein bisheriger Vorteil gegenüber einem Tarifvertrag „abgeschmolzen“ wird. Ein derartiger Vorgang kann nach dem BAG nicht tarifvertraglich vorgeschrieben werden, sondern muss sich aus der Auslegung des Einzelarbeitsvertrags ergeben.

Auf „Außenseiter“ finden einzelne Teile des Tarifvertrags Anwendung (s.o.). Gewerkschaften versuchen jedoch, tarifvertragliche Sonderleistungen allein ihren Mitgliedern vorzuenthalten, um diese zu behalten und neue Mitglieder zu werben. Da das BAG einen unzulässigen Druck auf Nichtmitglieder befürchtet, hält es folgende Klauseln für rechtswidrig:

* Organisationsklausel: Ein Arbeitgeber darf keine Personen einstellen, die nicht oder in einer anderen Gewerkschaft Mitglied sind.

* Tarifausschlussklausel: Verbot an einen Arbeitgeber, eine tarifliche Leistung auch „Außenseitern“ zu gewähren.

* Normative Spannensicherungsklausel: Eine tarifliche Leistung darf zwar auch „Außenseitern“ gewährt werden, aber in geringerem Umfang als Gewerkschaftsmitgliedern. Diese müssen also besser gestellt werden.

* Demgegenüber zulässig ist eine Außenseiterklausel, die zur Gleichstellung von Gewerkschaftsmitgliedern und „Außenseitern“ führt.

… arbeitsvertraglicher Einheitsregelung, Gesamtzusage und betrieblicher Übung:

Nach der Rechtsprechung kann ein jüngerer Tarifvertrag Nachteile zulasten des Arbeitnehmers gegenüber bisherigen arbeitsvertraglichen Einheitsregelungen, Gesamtzusagen und betrieblichen Übungen festschreiben. Das Günstigkeitsprinzip (s.o.) ist demnach – jedenfalls bisher – unanwendbar.

… Betriebsvereinbarung:

Im Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung gilt das Günstigkeitsprinzip im Sinne des § 4 Abs. 3 TVG, sodass Abweichungen einer Betriebsvereinbarung vom Tarifvertrag grds. nur zugunsten des Arbeitnehmers zulässig sind. Nachteilige Vereinbarungen bedürfen einer Ermächtigung durch den Tarifvertrag (Öffnungsklausel). Das Günstigkeitsprinzip ist für bestimmte Bereiche kraft Gesetz ausgeschlossen (vgl. §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG); diese Gebiete sind vorrangig durch Tarifvertrag zu regeln bzw. diesem vorenthalten. Wird dennoch eine Betriebsvereinbarung geschlossen, die z.B. die Entlohnung (§ 77 Abs. 3 BetrVG) betrifft, so ist die Vereinbarung unwirksam. Existierte eine solche schon bevor ein Tarifvertrag geschlossen wurde, gilt nunmehr der Tarifvertrag. Entscheidend ist also allein der Tarifvertrag und nicht die Betriebsvereinbarung.

… Gesetz:

Auf Grund der Sonderstellung des Tarifvertrags, Regelungen mit Gesetzeswirkung hervorzubringen (s.o.), ist es möglich, dass mal das Gesetzesrecht dem Tarifvertrag vorgeht, mal umgekehrt. Man unterscheidet die folgenden Kategorien:

* Zweiseitig zwingendes Gesetz:

Das Gesetz verdrängt einen anders lautenden Tarifvertrag unabhängig davon, ob er zugunsten oder zulasten der Arbeitnehmer von der gesetzlichen Regelung abweicht.

* Einseitig zwingendes Gesetz:

Abweichungen vom Gesetz durch Tarifvertrag sind wirksam, sofern sie nur zugunsten der Arbeitnehmer erfolgen (Regelfall).

* Tarifdispositives Gesetz:

Das Gesetz erlaubt tarifvertragliche Abweichungen zugunsten und zulasten der Arbeitnehmer. Gegenüber einer Betriebsvereinbarung oder einem Einzelarbeitsvertrag geht das Gesetz vor. Welcher Art ein Gesetz ist hängt davon ab, welchem Regelungszweck es dient. Bei Unsicherheiten im Einzelfall ist die Konsultation eines Anwalts anzuraten.

… Richterrecht:

Tarifvertragsrecht setzt sich gegenüber Richterrecht durch. Auch eine Billigkeitskontrolle des Tarifvertrags entfällt, da vermutet wird, dass die Belange der Arbeitnehmer hinreichend berücksichtigt wurden.

Mehrheit von Tarifverträgen

Fragen nach dem Verhältnis mehrerer Tarifverträge untereinander können sich in mehrfacher Hinsicht ergeben.

Zum einen ist in zeitlicher Hinsicht zu klären, welcher Tarifvertrag maßgeblich sein soll, ein jüngerer oder ein älterer. Diese Frage stellt sich vor allem, wenn tarifvertragliche Leistungen zurückgenommen werden sollen und eine ältere Regelung daher für den Arbeitnehmer günstiger war.

Grundsätzlich gilt: Der jüngere Tarifvertrag ist anwendbar, weil er den alten Tarifvertrag ersetzt. Strengere Voraussetzungen gelten, wenn ein neuer Tarifvertrag Rückwirkung entfalten soll (z.B. Vertrauensschutz) – unmöglich ist diese jedoch nicht!

Wenn der Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge innerhalb eines Betriebs eröffnet ist, sind verschiedene Konkurrenzsituationen zu unterscheiden:

Tarifkonkurrenz: Ein Arbeitsverhältnis ist mehreren Tarifverträgen unterworfen. Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit muss sich ein Tarifvertrag gegenüber den anderen durchsetzen. Entscheidend sind Vorrangklauseln in den konkurrierenden Verträgen selbst, andernfalls gilt der sachnähere Tarifvertrag. Zu berücksichtigen ist auch die Nachbindung an Tarifverträge gemäß § 3 Abs. 3 TVG beim Wechsel des Arbeitgeberverbandes.

Tarifpluralität: Verschiedene Arbeitsverhältnisse unterliegen verschiedenen Tarifverträgen. Nach der Rechtsprechung des BAG ist Tarifpluralität wie Tarifkonkurrenz zu behandeln, sodass im Ergebnis allein der speziellere Tarifvertrag gilt. Hilfsweise kann berücksichtigt werden, an welchen Tarifvertrag die meisten Arbeitnehmer kraft Gewerkschaftsmitgliedschaft gebunden sind.