Entgeltfortzahlung kann der Arbeitnehmer verlangen, wenn er aus bestimmten Gründen (unverschuldet) daran gehindert ist, seiner Arbeitsverpflichtung nachzukommen. Da hierin eine Durchbrechung des Grundsatzes „ohne Arbeit kein Lohn“ liegt, kann die Fortzahlung nur in bestimmten Fällen verlangt werden.
Annahmeverzug des Arbeitgebers:
Gemäß § 615 BGB kann der Arbeitnehmer Lohn verlangen, sofern der Arbeitgeber die angebotene Arbeitsleistung nicht annimmt und der Arbeitnehmer dadurch die geschuldete Arbeitsleistung nicht erbringen kann. Das ist z.B. der Fall, wenn dem Arbeitnehmer der Zutritt zu seiner Arbeitsstätte verweigert oder ihm schlicht keine Arbeit zugewiesen wird. Nach der Judikatur des BAG gilt dies nicht nur, wenn die Arbeitsleistung nachholbar ist, sondern auch, wenn eine Nachholung wegen der Ablehnung des Arbeitgebers unmöglich geworden ist.
§ 615 BGB setzt voraus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung ordnungsgemäß angeboten hat, also persönlich zur rechten Zeit, am rechten Ort und in der geschuldeten Weise. Abhängig vom konkreten Einzelfall kann auf ein Angebot verzichtet werden oder ein wörtliches Angebot genügen.
Die entfallene Arbeitsleistung ist nicht nachzuholen. Der Lohnanspruch kann aber gekürzt werden, wenn der Arbeitnehmer durch den Annahmeverzug eigene Aufwendungen erspart hat oder die entstandene Freizeit dazu genutzt hat, anderweitig Geld zu verdienen.
[box type=”alert”]Achtung: Auch die Kündigung führt zum Annahmeverzug des Arbeitgebers. Wenn der Arbeitnehmer sich nicht unverzüglich als arbeitssuchend meldet (§ 37b SGB III), wird sein Lohnanspruch aus § 615 BGB ebenfalls gekürzt (Böswilliges Unterlassen anderweitiger Erwerbstätigkeit). [/box]
Vom Annahmeverzug des Arbeitgebers sind die folgenden Konstellationen abzugrenzen:
– Der Arbeitgeber ist dafür verantwortlich, dass der Arbeitnehmer seine Arbeit nicht erledigen kann: Der Lohnanspruch besteht fort, aber der Arbeitnehmer muss nicht arbeiten.
Der Arbeitnehmer verweigert unentschuldigt seine Arbeitskraft: Eine Nachholung der Arbeitsleistung ist regelmäßig unmöglich; der Lohnanspruch entfällt.
Weder Arbeitnehmer noch -geber haben die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung zu verantworten: Lohn ist gemäß § 615 Satz 3 BGB zu zahlen, falls die Störung, die der ordnungsgemäßen Arbeitserbringung entgegensteht, vom Arbeitgeber beherrscht oder vermieden werden kann. Ausnahmen gelten bei Arbeitskämpfen und existenzieller Bedrohung des Arbeitgebers.
Der Arbeitnehmer kann die Arbeitsleistung unabhängig vom Annahmeverzug des Arbeitgebers nicht erbringen: Der Lohnanspruch entfällt, kann sich aber beispielsweise in einen Entgeltfortzahlungsanspruch wegen Krankheit umwandeln.
Arbeitskampf:
Durch den rechtmäßigen Arbeitskampf entfällt der Lohnanspruch der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer; eine Teilkompensation erfolgt durch Ersatzleistungen aus der Gewerkschaftskasse.
Aber auch Arbeitnehmer, die nicht Mitglied einer Gewerkschaft sind („Außenseiter“) können vorübergehend ihren Lohnanspruch verlieren, z.B. bei einer Betriebsstilllegung oder Arbeitnehmeraussperrung. Dies gilt sogar dann, wenn der Betrieb fortgeführt wird, aber die Weiterbeschäftigung technisch oder wirtschaftlich undenkbar oder zumindest unzumutbar ist, da andernfalls die „Kampfkraft“ des Arbeitgebers geschwächt würde.
Ist der Arbeitskampf rechtswidrig, bleiben die gegenseitigen Hauptleistungspflichten dagegen bestehen, sodass z.B. bei rechtswidriger Aussperrung Lohn gefordert werden kann.
Selbst bei nur mittelbarer Streikbetroffenheit eines Betriebes können im Einzelfall Lohnansprüche entfallen.
Durch die Teilnahme am Arbeitskampf entfallen Lohnfortzahlungsansprüche wegen Krankheit, Mutterschaft oder Feiertagen.
Betriebsratsmitgliedschaft:
Damit Betriebsratsmitglieder ihren Aufgaben in dieser Eigenschaft gerecht werden können, sind sie zumindest zeit- bzw. teilweise von ihrer „gewöhnlichen“ Arbeit freizustellen. Sofern die Betriebsratsmitgliedschaft ein Tätigwerden außerhalb der gewöhnlichen Arbeitszeit erfordert, kann auch eine Arbeitsbefreiung verlangt werden. Diese Freistellungen haben auf den Lohnanspruch keine Auswirkung, § 37 Abs. 2 und 3 BetrVG. Wie viele Betriebsratsmitglieder von der Arbeit freigestellt werden, hängt von der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer ab, vgl. § 38 BetrVG.
Auch die Teilnahme an während der Arbeitszeit stattfindenden Betriebsratswahlen, die Mitarbeit im Wahlvorstand oder als Vermittler lässt den Lohnanspruch unverändert, § 20 Abs. 3 Satz 2 BetrVG. Dies gilt ferner für die Inanspruchnahme des Betriebsrats durch Arbeitnehmer und die Teilnahme an (ordentlichen) Betriebsratsversammlungen (§§ 39 Abs. 3, 44 Abs. 1 BetrVG).
Feiertage:
An gesetzlichen Feiertagen ist gemäß § 2 EFZG der Lohn zu zahlen, den der Arbeitnehmer erhalten hätte, wenn er stattdessen gearbeitet hätte. Muss der Arbeitnehmer trotz des grundsätzlichen Beschäftigungsverbots arbeiten, z.B. als Zugführer, Kellner, Krankenhausarzt etc., so erhält er seinen regulären Lohn. Zusätzliche „Feiertagszuschläge“ müssen individuell vereinbart, gesetzlich oder tarifvertraglich vorgeschrieben sein.
Nimmt sich der Arbeitnehmer eigenmächtig auch den Tag vor oder nach dem Feiertag frei, so entfällt sein Vergütungsanspruch für diese Tage gänzlich, § 2 Abs. 3 EFZG. Zu dieser Folge kommt es auch während des Zeitraumes, in dem ein Arbeitskampf geführt wird.
Krankheitsfall:
Kann der Arbeitnehmer wegen Krankheit seine Arbeitsverpflichtung nicht erfüllen, so kann er gemäß § 3 EFZG dennoch Entlohnung von seinem Arbeitgeber verlangen.
Der Anspruch setzt voraus, dass das Arbeitsverhältnis bereits vier Wochen vor der Erkrankung bestand, die Arbeitsunfähigkeit auf der Krankheit beruht und letztere ohne Schuld des Arbeitnehmers entstand.
Es dürfen daher keine anderen Gründe für die Arbeitsunfähigkeit – ausgenommen gesetzlicher Feiertage (s.o.) – existieren. Der Lohnanspruch kann also z.B. während der Dauer eines Arbeitskampfes entfallen. Die Ursächlichkeit der Krankheit muss der Arbeitnehmer im Falle eines gerichtlichen Verfahrens durch ärztliches Attest (Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung) belegen.
Selbstverschuldet ist eine Krankheit, wenn sie auf einem Verhalten des Arbeitnehmers beruht, das grob von dem abweicht, welches von einem verständigen Menschen zu seinem Selbstschutz erwartet werden kann. Sportunfälle sind demnach regelmäßig unverschuldet, während eine verkehrsunfallbedingte Krankheit z.B. dann selbstverschuldet ist, wenn der Arbeitnehmer nicht angeschnallt oder alkoholisiert war. Letztlich ist die Verschuldensfrage im konkreten Einzelfall zu entscheiden.
Besteht ein Anspruch nach § 3 EFGZ, kann der Arbeitnehmer im Grundsatz den Lohn verlangen, den er erhalten hätte, wenn er nicht krank geworden wäre (Lohnausfallprinzip). Wurde per Tarifvertrag das sog. Vorverdienstprinzip vereinbart, so schuldet der Arbeitgeber den vor der Arbeitsunfähigkeit gezahlten Durchschnittslohn.
Unter bestimmten Umständen kann der Arbeitgeber die Lohnfortzahlung verweigern, was in jedem Fall eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers voraussetzt, z.B. durch Missachtung von Anzeige-, Nachweis- und Mitwirkungspflichten.
Der Entgeltfortzahlungsanspruch besteht für die Dauer von sechs Wochen. Erkrankt der Arbeitnehmer während dieser Zeit an einer weiteren Krankheit, wird die Anspruchsdauer nicht verlängert. Ein weiterer Anspruch wegen der selben Krankheit entsteht nur nach Ablauf bestimmter Fristen (sechs bzw. 12 Monate).
Mit Ablauf der sechswöchigen Entgeltfortzahlungspflicht entsteht eine Verpflichtung der Krankenversicherung des Arbeitnehmers, Krankengeld nach dem SGB V zu gewähren.
Für den Entgeltfortzahlungsanspruch kann eine Ausschlussfrist vereinbart werden, nach deren Ablauf der Anspruch nicht mehr geltend gemacht werden kann.
Kündigungsschutzprozess:
Unterbleibt eine Weiterbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers während des Verfahrens, richtet sich sein Lohnanspruch nach dessen Ergebnis.
Bei Klageabweisung kann kein Lohn verlangt werden, da das Arbeitsverhältnis rechtswirksam mit der Kündigung beendet worden ist.
War die Kündigung unwirksam und die Klage daher begründet, kann Lohn wegen Annahmeverzuges des Arbeitgebers gefordert werden, wenn der Arbeitnehmer nicht aufgefordert wurde, nach Ablauf der Kündigungsfrist zur Arbeit zu erscheinen. Ausnahmen sind denkbar, wenn der Arbeitgeber begründet vertrauen durfte, dass die Kündigung wirksam ist.
Kurzfristige Arbeitsverhinderung:
Diese steht gemäß § 616 BGB der Entlohnung des Arbeitnehmers nicht entgegen. Allerdings muss ein persönlicher Verhinderungsgrund vorliegen, der zur Unzumutbarkeit der Arbeitsverrichtung für den Arbeitnehmer, und zwar auch unter Berücksichtigung der Interessen des Arbeitgebers, führt. Häufig werden berücksichtigungsfähige Verhinderungsgründe per Tarifvertrag abschließend aufgezählt.
Nach § 616 BGB entfällt der Lohnanspruch dennoch, sobald der Arbeitnehmer nicht nur für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ seine Pflichten vernachlässigt. Maßgeblich ist insoweit das Verhältnis von Verhinderungsdauer und Gesamtbeschäftigungszeit.
Trifft den Arbeitnehmer ein Verschulden, entfällt der Lohnanspruch ebenfalls. Dies ist der Fall, wenn die persönliche Verhinderung auf unvernünftigem Verhalten beruht und es dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, die Konsequenzen dieses Benehmens zu tragen.
Mutterschutz:
Während der Beschäftigungsverbote nach dem Mutterschutzgesetz hat die (werdende) Mutter Anspruch auf Zahlung ihres durchschnittlichen Lohns in Form von Mutterschutzlohn oder Mutterschutzgeld nach den §§ 11, 13, 14 MuSchG, § 200 RVO. Anderes kann allerdings während eines Arbeitskampfes gelten
Stellensuche nach Kündigung:
Einem gekündigten Arbeitnehmer ist gemäß § 629 BGB Freizeit zu gewähren, damit sich dieser um eine andere Arbeitsstelle bemühen kann. Dessen ungeachtet ist der Arbeitgeber zur Lohnfortzahlung verfplichtet.
Suspendierung:
Der Arbeitnehmer hat seinen Beschäftigungsanspruch verloren, weil seine Beschäftigung dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen nicht zugemutet werden kann. Dies kann der Fall sein, wenn es tatsächlich keine Arbeit gibt (z.B. Auftragsflaute) oder der Verdacht besteht, dass der Arbeitnehmer sich einer Straftat schuldig gemacht hat (z.B. Diebstahl am Arbeitsplatz). Auch während der Suspendierung ist der Lohn zu entrichten.
Urlaub:
Nach § 11 BUrlG ist während des Urlaubs der Lohn zu entrichten, den der Arbeitnehmer durchschnittlich während der letzten 13 Wochen vor Urlaubsantritt erhalten hat. Zusätzlich kann ein freiwilliges Urlaubsgeld gezahlt werden.
Sofern der Arbeitnehmer Anspruch auf Bildungsurlaub hat, ist er auch für diese Zeit zu entlohnen.