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Tarifverträge treten grundsätzlich mit ihrem Abschluss in Kraft und gelten solange, bis sie durch einen anderen Tarifvertag ersetzt, ordentlich gekündigt oder aufgehoben werden bzw. bis zum Ablauf einer bestimmten Frist.

Wenn ein Arbeitgeber aus dem tarifvertragschließenden Arbeitgeberverband austritt, wird hierdurch die Geltung des Tarifvertrags in seinem Unternehmen nicht aufgehoben. Vielmehr ist der aktuell gültige Tarifvertrag gemäß § 3 III TVG (Tarifvertragsgesetz) weiterhin anzuwenden, bis einer der oben genannten Beendigungsgründe eintritt. Dieses Phänomen, das für Arbeitnehmer durchaus vorteilhaft sein kann, wird als Nachbindung des Tarifvertrags bezeichnet.

Bindung an Tarifvertrag kann noch während der Nachbindung entstehen

Mit Urteil vom 06.07.2011 (Az.: 4 AZR 424/09) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ein Arbeitnehmer auch dann noch tarifvertragliche Ansprüche gegen seinen Arbeitgeber erwerben kann, wenn er erst während dessen Nachbindungsphase einer Gewerkschaft beitritt. Das gilt natürlich nur, wenn die Arbeitnehmervereinigung, deren Mitglied er wird, einen Tarifvertrag mit dem Arbeitgeberverband geschlossen hatte, dessen Mitglied der Arbeitgeber zuvor war.

Unter dieser Voraussetzung sei der Arbeitgeber gemäß §§ 3 III, 4 I TVG weiterhin „unmittelbar und zwingend” an die Regelungen des Tarifvertrags gebunden, sodass sie nach wie vor ihre volle normative Wirkung entfalten. Wenn also einzelvertraglich schlechtere Arbeitskonditionen vereinbart worden waren, hat der Arbeitnehmer mit dem Eintritt in die Gewerkschaft nun einen Anspruch auf die im Tarifvertrag vereinbarten, für ihn günstigeren Leistungen. Dabei kann es z.B. wie im Ausgangsfall um die Länge der wöchentlichen Arbeitszeit gehen.

Der Ausgangsfall

Das Urteil betrifft eine Arbeitgeberin (Beklagte), die bis zum 31.12.2005 Mitglied in einem Metall-Arbeitgeberverband war. Im Austrittszeitpunkt war sie an zahlreiche Tarifverträge gebunden, nämlich an die bisherigen Mantel- und Tarifverträge der Metallindustrie sowie an die neuen Tarifverträge zur Regelung der Arbeitsverhältnisse nach Einführung des neuen Entgeltrahmenabkommens (ERA). Für ein einzelnes Arbeitsverhältnis konnten so durchaus 13 Tarifverträge nebeneinander zu beachten sein. Diese Regelwerke waren zwischen dem 01.03.2005 und dem 29.08.2008 umzusetzen.

Nach dem einschlägigen Tarifrecht betrug die Wochenarbeitszeit 35 Stunden. Einzelvertraglich hatte die Beklagte seit dem Sommer 2005 mit Wirkung zum 01.01.2006 aber eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden verabredet. So auch im Falle des Klägers, der zu diesem Zeitpunkt nicht Gewerkschaftsmitglied war. Auch eine Ende 2005 getroffene Betriebsvereinbarung über die Einführung von Arbeitszeitkonten ging von einer 40-Stunden-Woche aus.

Zum 01.07.2006 trat der Kläger in die IG Metall ein. Im Herbst des Folgejahres machte er schließlich gerichtlich geltend, dass sein Arbeitsverhältnis nach den einschlägigen Tarifverträgen zu behandeln sei. Deshalb sei er nur zur Leistung von 35 Wochenarbeitsstunden verpflichtet. Da er aber kontinuierlich 40 Stunden gearbeitet habe, stehe ihm eine Gutschrift von inzwischen 189,5 Stunden aus sein Arbeitszeitkonto zu.

Der Kläger obsiegte in erster und zweiter Instanz. Zwischen Berufung und Revision vereinbarte die Beklagte mit der IG Metall jedoch einen Haustarifvertrag, der zwar auf die früheren Verträge verwies, aber ebenfalls eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden vorsah. Das hatte natürlich Konsequenzen für das Revisionsverfahren vor dem BAG…

Nachbindung begründet kürzere Wochenarbeitszeit, aber keinen Anspruch auf Gutschrift von „Überstunden”

Das BAG gab der Revision der Beklagten teilweise statt. Seit Inkrafttreten des Haustarifvertrags fehle dem Kläger das für seine Klage erforderliche Feststellungsinteresse, da nunmehr geklärt sei, ob und welches Tarifrecht auf sein Beschäftigungsverhältnis anzuwenden seien.

Trotz der Entwicklungen im Ausgangsfall sei der Kläger bis zum Abschluss des Haustarifvertrags jedoch „nur” zu 35 Wochenarbeitsstunden verpflichtet gewesen. Denn durch den Beitritt des Klägers zur IG Metall im Juli 2006 sei eine beiderseitige Bindung an die zu diesem Zeitpunkt einschlägigen Tarifverträge entstanden und daran habe infolge der Nachbindung auch der Verbandsaustritt der Beklagten nichts geändert.

Und dennoch scheiterte er mit seinem Anliegen, die zu viel geleisteten Arbeitsstunden auf sein Arbeitszeitkonto gutschreiben zu lassen. Dies begründet das BAG mit der Überlegung, dass schon die Betriebsvereinbarung über die Einführung dieses Kontos von einer 40-Stunden-Woche ausgegangen war. Im Sinne der Betriebsvereinbarung hatte der Kläger also keine „Überstunden” erbracht, weshalb er auch keine Zeitgutschrift verlangen könne. Zugleich spricht das Gericht dem Kläger jedoch immerhin einen Vergütungsanspruch für die tarifvertragswidrig erbrachten Arbeitszeiten zu.

Damit hat die Nachbindungswirkung letztlich dem Kläger also doch eine gewisse Vergünstigung gebracht, wenn auch nicht die erwünschte.