Historie: Ursprünglich oblag es Versicherungsbehörden, über Ansprüche der Versicherten zu entscheiden. Eine eigene unabhängige Gerichtsbarkeit (vgl. § 1 SGG) für dieses Rechtsgebiet gibt es erst seit 1954. Die Zuständigkeiten der Sozialgerichtsbarkeit und das Verfahren vor den Sozialgerichten ist im Sozialgerichtsgesetz (SGG) normiert.
Gliederung: Die Sozialgerichtsbarkeit ist wie die meisten Gerichtszweige in drei Instanzen unterteilt, nämlich in die Sozialgerichte, die Landessozialgerichte und das Bundessozialgericht in Kassel (BSG), vgl. § 2 SGG.
Die örtliche Zuständigkeit der Sozialgerichte hängt von den Gerichtsbezirken ab: Jedes Sozialgericht ist nur im Gebiet seines jeweiligen Bezirks zuständig, dessen Grenzen gemäß § 7 Abs. 2 SGG jedoch nicht den Grenzen der Bundesländer entspreche muss. Um zu gewährleisten, dass jeder Bürger „Zugang“ zum Sozialgericht hat, können die Gerichte Termine in verschiedenen Orten ihres Bezirks abhalten.
In zweiter Instanz entscheiden die Landessozialgerichte (LSG), die grds. für das jeweilige Bundesland zuständig sind, auf dessen Gebiet sie ihren Sitz haben. In machen Fällen ist aber auch ein Landessozialgericht für zwei oder mehr Bundesländer zuständig, was gemäß § 28 Abs. 2 SGG zulässig ist.
Beispiele: Das LSG Nordrhein-Westfalen hat seinen Sitz in Essen. In Potsdam befindet sich das LSG Berlin-Brandenburg, das für beide Bundesländer zuständig ist.
Sachlich zuständig sind die Landessozialgerichte für Beschwerden und die Berufung gegen erstinstanzliche Urteile.
Schließlich entscheidet in letzter Instanz das Bundessozialgericht über Revisionen gegen Urteile der Landesgerichte oder im Wege der Sprungrevision über Urteile der Sozialgerichte. Sollte die Revision nicht zugelassen worden sein, dann entscheidet es auch über die sog. Nichtzulassungsbeschwerde.
Interner Aufbau: Der Aufbau der verschiedenen Instanzen ist relativ ähnlich:
Jedes Sozialgericht besteht aus mehreren Kammern, denen die verschiedenen Rechtsmaterien (s. Aufgaben der Sozialgerichte) zugeordnet sind. Eine Kammer setzt sich aus einem Berufsrichter (Vorsitzender Richter) und zwei ehrenamtlichen Richtern zusammen (§ 12 Abs. 1 SGG). Letztere werden z.B. an Urteilen und Beschlüssen beteiligt, die einer mündlichen Verhandlung nachfolgen. In anderen Fällen kann der Berufsrichter allein entscheiden. An der Spitze des Sozialgerichts steht ein Präsident und ein Vizepräsident.
Die Landessozialgerichte gliedern sich in mehrere Senate, die ebenfalls für bestimmte Rechtsgebiete zuständig sind. Ein Senat besteht aus drei Berufs- und zwei ehrenamtlichen Richtern. Den Vorsitz hat einer der drei Berufsrichter, die übrigen Berufsrichter sind die sog. Beisitzer (vgl. § 33 SGG). Auch dem Landessozialgericht steht ein Präsident und Vizepräsident vor.
Auch das BSG besteht aus einem Präsidenten und mehreren Senaten, die für bestimmte Rechtsmaterien zuständig sind. Wie auch bei den Landessozialgerichten umfasst ein Senat fünf Richter: Einen Vorsitzenden (Berufsrichter), zwei beisitzende Berufsrichter und zwei ehrenamtliche Richter. Gemäß § 41 SGG ist ein „Großer Senat“ zu bilden, der tätig werden muss, wenn zwei Senate des BSG hinsichtlich einer Rechtsfrage abweichende Meinungen vertreten. Auf diesem Wege soll die Einheitlichkeit der Rechtsprechung gesichert werden.
Aufgaben der Sozialgerichte: Durch die Sozialgerichtsbarkeit soll die Tätigkeit der „Sozialverwaltung“, also den Behörden, die mit der Vergabe von Sozialleistungen als Teil der staatlichen Leistungsverwaltung befasst sind, kontrolliert werden.
Gemäß § 51 SGG sind die Sozialgerichte zuständig in den folgenden Angelegenheiten bzw. Rechtsstreitigkeiten aus den aufgeführten Sachgebieten:
– gesetzliche Rentenversicherung und Alterssicherung für Landwirte,
– gesetzliche Krankenversicherung, soziale Pflegeversicherung, private Pflegeversicherung,
– gesetzliche Unfallversicherung,
– Arbeitsförderung inkl. der übrigen Aufgaben der Bundesagentur für Arbeit,
– Grundsicherung für Arbeitslose,
– sonstige Angelegenheiten der Sozialversicherung,
– Entschädigungsrecht (ausgenommen ist die Kriegsopferfürsorge),
– Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes,
– Feststellung von Behinderungsgraden, sowie Ausstellung, Verlängerung, Berichtigung und Einziehung von Ausweisen gemäß § 69 SGB IX,
– Streitigkeiten infolge des Aufwendungsausgleichsgesetzes,
– privatrechtliche Streitigkeiten aus dem Gebiet der gesetzlichen Krankenversicherung,
– kartellrechtliche Streitigkeiten zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern gemäß § 69 SGB V (in Verbindung mit § 87 S. 3 GWB),
– und in sonstigen, gesetzlich vorgesehenen Fällen (z.B. § 13 BEEG, § 15 BKGG).
Ergibt sich auf dieser Aufzählung keine Zuständigkeit der Sozialgerichte, so sind entweder die Verwaltungs- oder Ordentlichen (Zivil-)Gerichte nach Maßgabe des § 40 VwGO zuständig.
Ehrenamtliche Richter am Sozialgericht (§ 13 ff. SGG): Jede Kammer und jeder Senat der Sozialgerichtsbarkeit besteht aus mindestens einem beruflichen und mindestens zwei ehrenamtlichen Richtern (s.o.).
Grundvoraussetzung für die Befähigung zum ehrenamtlichen Richter an einem Sozialgericht ist die deutsche Staatsangehörigkeit und die Vollendung des 25. Lebensjahres (§ 16 Abs. 1 SGG). Am Landesgericht erhöht sich die Altersgrenze auf die Vollendung des 30. Lebensjahres und jeder Kandidat muss wenigstens fünf Jahre lang ehrenamtlicher Richter am Sozialgericht gewesen sein (§ 35 SGG). Um ehrenamtlicher Richter am Bundessozialgericht zu werden, muss jemand das 35. Lebensjahr vollendet und mindestens fünf Jahre in gleicher Position an einem Sozial- oder Landessozialgericht gearbeitet haben, § 47 SGG. Weitere Voraussetzungen aber auch Ausschlussgründe treten abhängig von dem jeweiligen Einsatzgebiet des Kandidaten hinzu.Ehrenamtliche Richter werden anhand einer Vorschlagsliste ausgewählt und für die Dauer von fünf Jahren berufen. Auch eine wiederholte Berufung ist zulässig. Sie kommen aus den Kreisen der Versicherten, der Ärzte, Krankenkassen, Arbeitgeber, Arbeitnehmer und der Versorgungsberechtigten oder von den Vorschlagslisten der Kreise und kreisfreien Städte. Durch sie soll gewährleistet sein, dass juristische Expertise auf lebensnahe Erfahrung stößt und so eine Entscheidung getroffen werden kann, die rechtlich korrekt und sachnah ist. Daher haben ehrenamtliche Richter auch dieselben Rechte – und Pflichten! – wie Berufsrichter (§ 19 SGG): Sie sind weisungsfrei (vgl. Art. 97 GG) und haben das gleiche Stimmrecht wie ihre Kollegen.