Schlagwortarchiv für: Widerspruchsverfahren

Außergerichtliches Vorgeschehen:

Im Regelfall beginnt ein Sozialgerichtsstreit damit, dass jemand einen Anspruch geltend machen will. Hierzu muss er sich an die zuständige Behörde wenden.

Beispiele: Wenn ein Schwerbehinderter seinen Anspruch auf kostenlose Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr durchsetzen will, dann muss er sich zunächst an das Versorgungsamt wenden, um einen Ausweis mit dem erforderlichen Merkzeichen (G, Gl, aG, H, Bl, VB oder EB) inkl. Beiblatt mit Wertmarke zu erhalten. – Anspruch gegen die Krankenkasse auf Zahlung von Krankengeld oder gegen die Berufsgenossenschaft wegen einer Erwerbsminderungsrente infolge eines Arbeitsunfalls.

Hat die Behörde den fraglichen Sachverhalt ermittelt, trifft sie eine Entscheidung über das Begehren des Anspruchstellers, den sog. Bescheid, der (nur) auf Verlangen schriftlich zu erteilen ist, der aber praktisch immer schriftlich erteilt wird. Entspricht die Behörde dem Wunsch des Bürgers, so ist das Verfahren beendet.

Wenn aber die erwünschte Begünstigung verweigert wurde, muss der Betroffene hiergegen zunächst durch Erhebung eines Widerspruchs vorgehen, damit der Bescheid einer behördlichen Kontrolle unterzogen wird (§§ 78 ff. SGG).

[box type=”alert”]Achtung: Der Widerspruch muss binnen eines Monats nach Zugang des ablehnenden Bescheids eingelegt werden (vgl. § 84 SGG).[/box]

Durch dieses sog. Vorverfahren (Widerspruchsverfahren) soll der Behörde die Möglichkeit der Selbstkontrolle eröffnet und die Gerichte entlastet werden. Wie, bis wann und bei wem ein Widerspruch erhoben werden kann, ergibt sich aus der dem Bescheid beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung, sollte aber ggf. anwaltlich erörtert werden. Dies gilt erst recht, wenn gar keine Rechtsbehelfsbelehrung erteilt wurde.

Will die Widerspruchsbehörde dem Ansinnen des Bürgers entsprechen, erlässt sie einen Abhilfebescheid und ein Gerichtsverfahren wird überflüssig, weil der Anspruchssteller das erhält, was er haben wollte.

Wenn aber der geltend gemachte Anspruch weiterhin versagt wird, dann erlässt die Behörde einen Widerspruchsbescheid, der darlegt, warum dieser Anspruch nicht bestehen soll. In diesem Fall muss der Bürger Klage vor dem Sozialgericht erheben, will er seinen Anspruch dennoch durchsetzen! Was der Bürger dann tun muss, kann er der Rechtsbehelfsbelehrung nun des Widerspruchsbescheides entnehmen und sich ggf. (erneut) anwaltlich beraten lassen.

Klageerhebung:

Mangels spezifischer Formvorschriften genügt ein einfacher Schriftsatz für die Klageerhebung oder ein Vortrag zur Niederschrift beim Sozialgericht (§ 90 SGG). Fehlen erforderliche Angaben oder Unterlagen, können diese auf Aufforderung des Gerichts nachgereicht werden.

[box type=”alert”]Achtung: Die Klage muss grds. binnen eines Monats nach Zugang des Widerspruchsbescheids erhoben werden, § 87 SGG.[/box]

Es besteht kein Anwaltszwang; dennoch ist die Hinzuziehung eines erfahrenen Anwalts hilfreich, denn er weiß genau, welche Angaben die Klage enthalten muss und welche Unterlagen sinnvollerweise einzureichen sind. So kann auch das zeitraubende Nachreichen von Informationen etc. vermieden werden.

Sobald eine Klage beim Sozialgericht eingeht, wird der Beklagte über die Klage unterrichtet und der Eingang derselben bestätigt (§§ 104 ff. SGG).

Vor dem Sozialgericht gilt der Grundsatz, dass der Sachverhalt von Amts wegen ermittelt wird, sodass das es von sich aus die erforderlichen Auskünfte etc. einholt und in Kontakt mit Kläger und Beklagtem tritt (§§ 103, 106 ff. SGG).

Beispiel: Begehrt der Kläger die Anerkennung als Schwerbehinderter, dann holt das Gericht ein Gutachten über den Gesundheitszustand des Klägers ein. Es wird ferner danach fragen, bei welchen Ärzten der Kläger in Behandlung ist.

Will das Gericht eine Auskunft von einem Arzt des Klägers einholen, dann muss dieser den Arzt zunächst von seiner Schweigepflicht entbinden. Auch der Kläger kann aber die Initiative ergreifen, indem er das Gericht dazu anregt, eine bestimmte Person als Zeugen zu vernehmen oder ein spezielles Gutachten einzuholen.

Ob eine Ermittlungsmaßnahme letztlich durchgeführt wird, entscheidet das Gericht. Es gilt der Amtsermittlungsgrundsatz. Allerdings kann der Kläger beantragen, dass ein medizinisches Gutachten bei einem Arzt, zu dem er Vertrauen hat, in Auftrag geben wird – diesem Antrag muss das Sozialgericht gemäß § 109 SGG grds. folgen.

Ist der Sachverhalt soweit ermittelt, kann das Gericht in einem sog. Erörterungstermin den Parteien des Rechtsstreits die Gelegenheit geben, sich zur Sache zu äußern, und die Rechtslage erläutern. Der Termin ist nicht öffentlich und führt auch nicht zu einem Urteil.

Die mündliche Verhandlung erfolgt demgegenüber öffentlich und in Anwesenheit auch der ehrenamtlichen Richter. Von ihr kann gemäß § 105 SGG abgesehen werden, wenn der Rechtsstreit weder rechtlich noch tatsächlich „schwierig“ ist; unter diesen Umständen ergeht ein Gerichtsbescheid. Nach umfangreicher (weiterer) Erörterung und Beweiserhebung in der mündlichen Verhandlung zieht sich das Gericht zu einer geheimen Beratung zurück, an deren Ende es das Urteil verkündet (vgl. § 124 SGG). Dieses wird den Parteien auch schriftlich und begründet zugestellt. Das Urteil kann aber auch im schriftlichen Verfahren ohne mündliche Verhandlung ergehen, wenn die Beteiligten damit einverstanden sind oder der Fall für das Gericht unproblematisch ist – letzteres ist zuvor anzukündigen (vgl. § 124 SGG).

Es ist aber nicht zwingend gesagt, dass der Prozess unbedingt mit einem Urteil enden muss. Angestrebt wird von den Gerichten regelmäßig eine gütliche Einigung von Kläger und Beklagtem in Form eines Vergleichs (vgl. § 101 SGG). Weitere Möglichkeiten ist das Anerkenntnis des Beklagten, dass der geltend gemachte Anspruch bestehe oder die Klagerücknahme durch den Kläger (§ 102 SGG), wenn er endgültig erkennt, dass sein vermeintlicher Anspruch in Wahrheit nicht besteht.

Berufung beim Landessozialgericht (LSG):

Wenn das Urteil des Sozialgerichts nicht zufrieden stellend ausfiel, kann man grds. beim Landessozialgericht Berufung einlegen (§§ 143 ff. SGG). Es genügt ein einfacher Schriftsatz oder ein Vorbringen zur Niederschrift beim Sozial- oder Landessozialgericht. Zu nennen sind das Urteil, gegen das vorgegangen werden soll, das Ziel der Berufung, und die Tatsachen und Beweismittel, die den Berufungsantrag stützen (§ 151 Abs. 3 SGG). Weitere Vorgaben können der Rechtsmittelbelehrung des Urteils des Sozialgerichts entnommen werden und in einem Gespräch mit einem Anwalt erörtert werden.

[box type=”alert”]Achtung: Die Berufung muss binnen eines Monats nach Urteilszustellung eingelegt werden, § 151 Abs. 1 SGG.[/box]

Die Berufung dient der neuerlichen Erörterung des Rechtsstreits in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht und eröffnet die Möglichkeit, weitere, bislang nicht geltend gemachte Fakten zu berücksichtigen (vgl. § 157 SGG). Wenn allerdings Erklärungen und Beweismittel vor dem Sozialgericht nicht eingewandt wurden, obwohl hierzu eine Frist gesetzt worden war, so kann das Landesgericht diese nun zurückweisen. Ferner muss das Gericht auch solche Erklärungen und Beweismittel nicht zu Kenntnis nehmen, die schon das Sozialgericht mit Recht zurückgewiesen hat, § 157a SGG.

Das Landessozialgericht geht ähnlich wie das Sozialgericht vor, was bedeutet, dass es den Sachverhalt ermittelt, mit den Parteien erörtert und mündlich verhandeln lässt.

Am Ende des Verfahrens steht erneut ein Urteil oder Vergleich, sofern es nicht zu einem Anerkenntnis oder der Rücknahme der Berufung kommt. Und auch hier gibt es erneut ein Rechtsmittel, um das Berufungsurteil anzugreifen, die Revision.

Es besteht im Berufungsverfahren keine Pflicht, sich anwaltlich vertreten zu lassen. Anzuraten ist die anwaltliche Vertretung dennoch, um die Möglichkeiten des Verfahrens optimal auszuschöpfen.

Revision:

Gemäß der §§ 160 ff. SGG kann gegen das Urteil eines Landessozialgerichts Revision eingelegt werden. Möglich ist auch die Sprungrevision vom Sozial- zum Bundessozialgericht (§ 161 SGG). Zuständig für die Revision ist das Bundessozialgericht (BSG).

Wie auch in den übrigen Gerichtszweigen prüft das BSG die vorausgehenden Urteile nur noch auf Rechtsfragen, also darauf, ob die Gesetze richtig angewendet wurden, vgl. § 162 SGG. Das BSG ist also kein Tatsachengericht. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass vor dem BSG Anwaltszwang besteht, § 166 SGB. Dies gilt nicht für Behörden, Körperschaften bzw. Anstalten des öffentlichen Rechts und private Pflegeversicherungsunternehmen.

Hat das LSG die Revision nicht zugelassen, muss man die Nichtzulassungsbeschwerde beim BSG erheben, dass dann ggf. die Zulässigkeit der Revision ausspricht (§§ 160, 160a SGG). Damit ist die Revision als solche aber noch nicht „gewonnen“, sondern es werden nur die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass eine Rechtskontrolle überhaupt erfolgt.

Revisionsgründe sind die Betroffenheit einer grundsätzlichen Rechtsfrage, die Abweichung des LSG von der bisherigen Rechtsprechung des BSG oder ein erheblicher Verfahrensfehler im bisherigen Prozess, § 160 Abs. 2 SGG.

[box type=”alert”]Achtung: Weitestgehend gilt das zur Berufung Gesagte entsprechend. Das gilt auch für die einmonatige Einlegungsfrist, und den Inhalt des Revisionsantrags vgl. § 164 SGG. Allerdings gilt für die Begründung der Revision eine zweimonatige Frist (§ 164 Abs. 2 SGG).[/box]

Gerichtskosten:

Grundsätzlich ist ein Klageverfahren vor den Sozialgerichten kostenlos und zwar in allen Instanzen! Dies setzt allerdings voraus, dass der Kläger behindert, oder ein Versicherter bzw. Leistungsempfänger ist, § 183 SGB IX. Der Grundsatz „Wer verliert, trägt die Kosten.“ gilt also nicht, und zwar auch dann nicht, wenn der Kläger den Prozess verliert. Das heißt zugleich, dass Kosten der Gegenseite, also des oder der Beklagten, gleichfalls nicht übernommen werden müssen. Allerdings gilt hier eine Ausnahme: Verliert man den Prozess gegen eine private (!) Pflegeversicherung, so sind deren Kosten zu erstatten. Anderes mag auch bzgl. außergerichtlicher Kosten gelten (s.u.).

Ebenfalls kostenfrei sind für den Kläger die Ermittlungen des Sozialgerichts. Dies gilt auch für Gutachten, die das Gericht einholt, um den Sachverhalt genauer aufklären zu können. Wurde ein Gutachten allerdings gemäß § 109 SGG vom Kläger eingeholt, so kann das Gericht einen Kostenvorschuss verlangen. Wer das Gutachten letztendlich bezahlen muss, wird erst in einem späteren Verfahrensabschnitt geklärt.

Auch die Klagerücknahme ist unentgeltlich.

Vom Grundsatz der Kostenfreiheit bestehen die folgenden Ausnahmen:

– Verfahrensbeteiligte, die nicht zu dem in § 183 SGB IX genannten Personenkreis gehören, müssen demgegenüber für das Gerichtsverfahren aufkommen, § 184 SGG. Die Gebühr für einen Rechtsstreit beträgt dann 150,- € vor den Sozialgerichten, 225,- € vor den Landessozialgerichten und 300,- € vor dem Bundessozialgericht (BSG).

– Ferner entstehen Kosten, wenn ein Beteiligter dafür verantwortlich ist, dass eine mündliche Verhandlung vertagt bzw. ein neuer Termin angesetzt werden muss oder wenn ein Prozess trotz vorheriger Belehrung rechtsmissbräuchlich fortgeführt wird, § 192 SGG.

– In jedem Fall muss der Kläger Fotokopien bezahlen, die auf seinen Wunsch von den Akten angefertigt werden (§ 120 Abs. 2 SGG), oder die das Gericht deshalb erstellen muss, weil der Kläger seine Unterlagen nicht in ausreichender Anzahl eingereicht hat (§ 93 SGG).

Außergerichtliche Kosten:

Dies sind Kosten, die außerhalb des Rechtsstreits als solchem anfallen, z.B. die Anwaltsgebühren. Das Gericht entscheidet gemäß § 193 SGG darüber, welche Kosten der Rechtsverfolgung und -verteidigung die Parteien einander zu erstatten haben. Auch insoweit besteht also eine Ausnahme vom Grundsatz der Kostenfreiheit.

Die gesetzliche Vergütung eines Rechtsanwalts oder Rechtsbeistandes ist immer erstattungsfähig und muss von demjenigen getragen werden, der den Prozess verloren hat. Nicht erstattungsfähig sind aber die Auslagen, für die eine Partei gemäß § 184 SGG aufkommen muss (s.o.).

Endet ein Rechtsstreit durch Vergleich ohne dass sich die Parteien über die Kostenverteilung geeinigt haben, so muss jede Partei selbst für ihre Kosten aufkommen, § 195 SGG.

Unter Umständen wird einem Prozessbeteiligten Prozesskostenhilfe gewährt. Dies setzt jedoch voraus, dass der angestrebte Prozess Aussicht auf Erfolg verspricht und nicht nur mutwillig begehrt wird (§ 73a SGG, §§ 114 ff. ZPO).

Zur Vertretung durch Prozessbevollmächtigte:

In allen Verfahrensstufen ist die Vertretung durch einen Rechtsanwalt als Prozessbevollmächtigtem zulässig. Zwingend vorausgesetzt ist die Vertretung jedoch nur vor dem Bundessozialgericht (sog. Anwaltszwang, § 166 SGG).

Ratsam ist eine anwaltliche Vertretung jedoch in jeder Verfahrensphase: Ein Anwalt kann Auskunft darüber geben, wie im konkreten Einzelfall vorzugehen ist, hilft bei der Formulierung von Widerspruch, Klage-, Berufungs- und Revisionsanträgen und kann so helfen, Rechte erfolgreich durchzusetzen.