Keine Diskriminierung Schwerbehinderter im Sozialplan, wenn es um die Höhe von Abfindungen geht: Wenn ein Behinderter allein wegen seiner Behinderung durch derartige Klauseln schlechter gestellt wird, sind diese unwirksam und nicht anzuwenden. Das hat das Bundesarbeitsgericht am 17.11.2015 (Az.: 1 AZR 938/13) entschieden. Das BAG gibt Arbeitgebern und Betriebsräten auf, in Sozialplänen generell “die Diskriminierungsverbote des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zu beachten”. Weiterlesen
Einen Abfindungsanspruch kann ein Arbeitnehmer auf unterschiedlichste Art und Weise erwerben, z.B. durch vertragliche Vereinbarung oder Gesetz (s. § 1a KSchG). Wurde ihm wegen einer (geplanten) Betriebsänderung rechtswirksam gekündigt, kann ein Abfindungsanspruch aber auch aus einem Sozialplan folgen.
Sozialpläne begründen Leistungsansprüche der Arbeitnehmer
Durch einen Sozialplan (§§ 111 ff. Betriebsverfassungsgesetz, kurz: BetrVG) sollen die wirtschaftlichen Nachteile einer Betriebsänderung zugunsten der von ihr betroffenen Arbeitnehmer zumindest gemildert oder gar völlig kompensiert werden (vgl. § 112 BetrVG). Zu diesem Zweck können dort z.B. Abfindungsansprüche ausgewiesen werden.
Dem Sozialplan, der gemeinsam mit dem Betriebsrat aufgestellt wird, kommt dieselbe Wirkung wie einer Betriebsvereinbarung zu (§ 112 I 3 BetrVG). Grundsätzlich haben die Arbeitnehmer nach den §§ 112 I 3, 77 IV BetrVG daher einen Anspruch auf die im Sozialplan vereinbarten Leistungen.
Erwerbsminderungsrente kann Abfindungsanspruch entfallen lassen
Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 07.06.2011 (Az.: 1 AZR 34/10) kann ein Sozialplan aber vorsehen, dass ein Abfindungsanspruch solchen Arbeitnehmern vorbehalten wird, die arbeitsfähig sind und keine dauerhafte Erwerbsminderungsrente beziehen. Umgekehrt dürfen also Angestellte ausgeschlossen werden, die eine volle (ggf. befristete) Erwerbsminderungsrente beziehen, aktuell nicht beschäftigt werden und bei denen ein Wiedereintritt ihrer Arbeitsfähigkeit auch langfristig nicht prognostizierbar ist.
Was auf den ersten Blick wie eine unerhörte Benachteiligung erwerbsgeminderter Personen aussieht, rechtfertigt das BAG wie folgend: Die Sozialplanabfindung diene allein dem Zweck, wirtschaftliche Nachteile von Arbeitnehmern auszugleichen, die im Zuge einer Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz und somit auch ihre Einnahmequelle verlieren. Wer aber bereits längere Zeit eine volle Erwerbsminderungsrente beziehe und auch künftig nicht wieder arbeitsfähig werde, erleide durch den Verlust seines Arbeitsplatzes keinen derartigen Nachteil, da ihm ja immer noch die Rentenleistungen verbleiben. Folglich komme es durch eine derartige Sozialplanvereinbarung nicht zu einer unmittelbaren Schlechterstellung erwerbsgeminderter Personen, denn sie würden nicht schlechter behandelt als andere in vergleichbarer Lage.
Wird ein Sozialplan aufgestellt, dürfen Arbeitgeber daher davon ausgehen, dass arbeitsunfähige Arbeitnehmer unter den genannten Voraussetzungen auch künftig keinen Lohn am Arbeitsmarkt erzielen werden, und dass ihnen deshalb kein Ausgleich für einen Lohnverlust in Form einer Sozialplanabfindung zu zahlen ist.
Der Ausgangsfall
Das Urteil betrifft den Sozialplan einer Arbeitgeberin (Beklagte), nach dem Arbeitnehmer dann keine Sozialplanabfindung erhalten, wenn sie gegenwärtig nicht arbeiten können, eine volle Erwerbsminderungsrente beziehen und falls auch künftig nicht zu erwarten ist, dass sie wieder arbeitsfähig sein werden. Erfasst werden sollten Angestellte, die seit mehr als drei Jahren arbeitsunfähig sind und entsprechende Rentenleistungen erhalten oder denen eine volle Erwerbsminderungsrente für mehr als drei Jahre bewilligt wurde.
Diese Regelung betraf u.a. einen Arbeitnehmer (Kläger), der Ende 2001 einen Wegeunfall erlitten hatte und seitdem dauerhaft arbeitsunfähig ist. Er bezieht seit dem 01.04.2003 eine Erwerbsminderungsrente, die zunächst bis zum 30.06.2007 und dann bis zum 30.06.2009 befristet war. Inzwischen wird die Rente unbefristet geleistet.
Aus betriebsbedingten Gründen wurde dem Kläger zum 31.12.2008 gekündigt. Auf Grundlage des geschlossenen Sozialplanes machte er nun einen Abfindungsanspruch über 220.000,- € geltend. Allerdings ohne Erfolg, wie man sich nach den Ausführungen des BAG bereits denken kann.
Das BAG wiederholt, dass dem Kläger durch die betriebsbedingte Kündigung keine weiteren wirtschaftlichen Nachteile entstünden, sodass den Arbeitgeber auch keine Ausgleichspflicht treffe. Mangels unmittelbarer Benachteiligung behinderter Personen sei der im Sozialplan vereinbarte Leistungsausschluss zulässig und stehe dem geltend gemachten Abfindungsanspruch des Klägers somit entgegen.
Wenn eine Betriebsänderung ansteht, können die für die Arbeitnehmer damit verbundenen (finanziellen) Nachteile durch einen Sozialplan ausgeglichen oder zumindest abgemildert werden (vgl. § 112 Betriebsverfassungsgesetz, kurz BetrVG). Ausgearbeitet wird dieser Vertrag durch den Betriebsrat und den Arbeitgeber.
Sozialplanabfindung soll Übergangszeit zur Anschlussbeschäftigung erleichtern
Kommt es im Zuge der geplanten Maßnahmen zu Kündigungen und erhalten die Arbeitnehmer deshalb eine Abfindung, spricht man von einem sog. Abfindungssozialplan.
Die Abfindung soll den Betroffenen helfen, finanziell „über die Runden” zu kommen, bis sie eine neue Arbeit gefunden haben. Dass die Chancen, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, mit dem Alter deutlich abnehmen, ist natürlich auch dem Bundesarbeitsgericht nicht verborgen geblieben.
Keine Diskriminierung jüngerer Angestellter durch gestaffelte Abfindungszahlungen
Deshalb hat das Gericht in einem Urteil vom 12.04.2011 (Az.: 1 AZR 764/09) entschieden, dass es keine unzulässige Altersdiskriminierung darstellt, wenn ein Abfindungssozialplan unterschiedliche Altersstufen enthält.
Das führt zwar zu einer Ungleichbehandlung der Arbeitnehmer abhängig von ihrem jeweiligen Alter, ist aber keine nach dem AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz) verbotene Benachteiligung, sondern vielmehr gerechtfertigt. Denn wenn die Abfindungshöhe nach dem Lebensalter gestaffelt ist und ältere Angestellte im Kündigungsfall daher eine höhere Abfindung als ihre jüngeren Kollegen erhalten, so trage dies dem Umstand Rechnung, dass sie voraussichtlich auch mehr Zeit und Mühe investieren müssen, um wieder einen Arbeitsplatz zu finden.
Eine derartige Differenzierung wird in § 10 S. 3 Nr. 6 AGG vielmehr ausdrücklich für zulässig erklärt, jedenfalls sofern die Bildung der Altersstufen, worauf das BAG ausdrücklich hinweist, verhältnismäßig im Sinne von § 10 S. 2 AGG ist: Die Staffelung muss also geeignet und erforderlich sein, um eine bestehende Benachteiligung älterer Arbeitnehmer am Arbeitsmarkt auszugleichen und außerdem an das Alter und/oder die Betriebszugehörigkeit der Betroffenen anknüpfen.
Der Ausgangsfall
So verhielt es sich auch in dem vom BAG entschiedenen Fall: Der Sozialplan eines Unternehmens (Beklagte) sah vor, dass sich die Abfindungshöhe aus einer Multiplikation aus dem Bruttomonatslohn, der Betriebszugehörigkeit und einem weiteren Faktor ergeben sollte. Die Höhe dieses Faktors war wiederum von dem Lebensalter des jeweiligen Arbeitnehmers abhängig: Bis zum 29. Lebensjahr betrug er 80%, bis zum 39. Lebensjahr 90% und von da an 100%.
Gegen diese Staffelung klagte eine im Kündigungszeitpunkt 38jährige Arbeitnehmerin, die insgesamt knapp 32.000,- € als Abfindung erhielt. Sie forderte die Differenz zu der Abfindung ein, die sie bekommen hätte, wenn der Faktor bei ihr 100% betragen hätte. Die Klägerin scheiterte jedoch in allen Instanzen.
Nach dem BAG waren die Altersstufen des einschlägigen Sozialplanes nicht diskriminierend. Die Staffelung berücksichtige vielmehr, dass Arbeitnehmer zwischen 30 und 39 Jahren schneller wieder Arbeit finden als nach Vollendung des 40. Lebensjahres. Im Übrigen sei sie auch nicht unangemessen.
Durch einen sog. Sozialplan sollen im Falle einer geplanten Betriebsänderung die den Arbeitnehmern drohenden wirtschaftliche Nachteile ausgeglichen oder zumindest abgemildert werden (vgl. § 112 I 2 BetrVG).
Können Arbeitgeber und Betriebsrat keinen Einigung finden, muss an ihrer Stelle die Einigungsstelle durch Spruch entscheiden (§ 112 V BetrVG).
Einigungsstelle muss Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbelange beachten
Nach einem Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 15.03.2011 (Az.: 1 ABR 97/09) darf die Einigungsstelle aber nicht einfach „ins Blaue hinein” tätig werden. Sie muss sich vielmehr darum bemühen, einerseits die Interessen der Arbeitnehmer zu berücksichtigen und dabei andererseits nicht die „wirtschaftliche Vertretbarkeit” des Sozialplans aus den Augen zu verlieren. Denn ein Sozialplan, der wirtschaftlich nicht vertretbar ist und den der Arbeitgeber mangels finanzieller Mittel nicht erfüllen kann, hilft niemandem.
Diese Grundsätze gelten auch für den Sozialplan eines konzernangehörigen Unternehmens.
Bemessungsdurchgriff bei konzernangehörigen Unternehmen
Bei konzernangehörigen Unternehmen kommt es für die Aufstellung des Sozialplans aber nicht nur auf die finanzielle Leistungsfähigkeit allein dieser Konzerngesellschaft an
Entstand das Unternehmen, für das nun ein Sozialplan zu erstellen ist, durch Spaltung im Sinne des Umwandlungsgesetzes (UmwG), muss die Einigungsstelle ggf. auch die Leistungsfähigkeit des Konzernteils berücksichtigen, von dem es abgespalten wurde. Das gilt jedenfalls dann, wenn diese andere Gesellschaft als Anlagegesellschaft bei der Spaltung die Vermögensteile einbehalten hatte, die die abgespaltene Gesellschaft zur Führung ihrer Geschäfte benötigt und wenn sie ihr diese anschließend zur Nutzung überlassen hat.
Unter diesen Voraussetzungen kommt es nach dem BAG zum sog. Bemessungsdurchgriff gemäß § 134 UmwG, sodass auch die Leistungsfähigkeit der Anlagegesellschaft dem Sozialplan des abgespaltenen Unternehmens zugrundegelegt werden darf.
Dieser Durchgriff ist eine Reaktion darauf, dass sie dem abgespaltenen Unternehmensteil zuvor Vermögen entzogen hatte.
Der Ausgangsfall
Die K-AG betrieb bis einschließlich 2005 sechs Rehakliniken, die sie im Folgejahr auf sechs Betriebsgesellschaften ausgliederte. Fünf Klinikgrundstücke hatten der K-AG gehört, das sechste hatte sie nur angepachtet. Auf diesem betrieb die O-Klinik GmbH als Arbeitgeberin eine Klinik, die sie jedoch noch Ende 2006 wegen finanziellen Misserfolges schloss. Die Einigungsstelle der O-Klinik GmbH erstellte einen Sozialplan mit einem Volumen von 1.300.000,- € – zur gleichen Zeit hatte die Arbeitgeberin jedoch Schulden in Höhe von etwa 3.000.000,- €…
Deshalb beantragte die O-Klinik GmbH gerichtlich die Feststellung, dass der Sozialplan unwirksam sei – mit Erfolg: Nach dem BAG war dieser Sozialplan angesichts der wirtschaftlichen Lage der Arbeitgeberin wirtschaftlich nicht mehr vertretbar.
Auch ein Bemessungsdurchgriff auf die K-AG war hier nämlich unzulässig, da der O-GmbH durch die Ausgliederung keine wesentlichen Vermögensbestandteile entzogen worden waren. Daher verstieß der Sozialplan gegen § 112 V BetrVG.
Jürgen Sauerborn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Medizinrecht
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