Schlagwortarchiv für: Tarifvertrag

Tarifverträge treten grundsätzlich mit ihrem Abschluss in Kraft und gelten solange, bis sie durch einen anderen Tarifvertag ersetzt, ordentlich gekündigt oder aufgehoben werden bzw. bis zum Ablauf einer bestimmten Frist.

Wenn ein Arbeitgeber aus dem tarifvertragschließenden Arbeitgeberverband austritt, wird hierdurch die Geltung des Tarifvertrags in seinem Unternehmen nicht aufgehoben. Vielmehr ist der aktuell gültige Tarifvertrag gemäß § 3 III TVG (Tarifvertragsgesetz) weiterhin anzuwenden, bis einer der oben genannten Beendigungsgründe eintritt. Dieses Phänomen, das für Arbeitnehmer durchaus vorteilhaft sein kann, wird als Nachbindung des Tarifvertrags bezeichnet.

Bindung an Tarifvertrag kann noch während der Nachbindung entstehen

Mit Urteil vom 06.07.2011 (Az.: 4 AZR 424/09) hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass ein Arbeitnehmer auch dann noch tarifvertragliche Ansprüche gegen seinen Arbeitgeber erwerben kann, wenn er erst während dessen Nachbindungsphase einer Gewerkschaft beitritt. Das gilt natürlich nur, wenn die Arbeitnehmervereinigung, deren Mitglied er wird, einen Tarifvertrag mit dem Arbeitgeberverband geschlossen hatte, dessen Mitglied der Arbeitgeber zuvor war.

Unter dieser Voraussetzung sei der Arbeitgeber gemäß §§ 3 III, 4 I TVG weiterhin „unmittelbar und zwingend” an die Regelungen des Tarifvertrags gebunden, sodass sie nach wie vor ihre volle normative Wirkung entfalten. Wenn also einzelvertraglich schlechtere Arbeitskonditionen vereinbart worden waren, hat der Arbeitnehmer mit dem Eintritt in die Gewerkschaft nun einen Anspruch auf die im Tarifvertrag vereinbarten, für ihn günstigeren Leistungen. Dabei kann es z.B. wie im Ausgangsfall um die Länge der wöchentlichen Arbeitszeit gehen.

Der Ausgangsfall

Das Urteil betrifft eine Arbeitgeberin (Beklagte), die bis zum 31.12.2005 Mitglied in einem Metall-Arbeitgeberverband war. Im Austrittszeitpunkt war sie an zahlreiche Tarifverträge gebunden, nämlich an die bisherigen Mantel- und Tarifverträge der Metallindustrie sowie an die neuen Tarifverträge zur Regelung der Arbeitsverhältnisse nach Einführung des neuen Entgeltrahmenabkommens (ERA). Für ein einzelnes Arbeitsverhältnis konnten so durchaus 13 Tarifverträge nebeneinander zu beachten sein. Diese Regelwerke waren zwischen dem 01.03.2005 und dem 29.08.2008 umzusetzen.

Nach dem einschlägigen Tarifrecht betrug die Wochenarbeitszeit 35 Stunden. Einzelvertraglich hatte die Beklagte seit dem Sommer 2005 mit Wirkung zum 01.01.2006 aber eine wöchentliche Arbeitszeit von 40 Stunden verabredet. So auch im Falle des Klägers, der zu diesem Zeitpunkt nicht Gewerkschaftsmitglied war. Auch eine Ende 2005 getroffene Betriebsvereinbarung über die Einführung von Arbeitszeitkonten ging von einer 40-Stunden-Woche aus.

Zum 01.07.2006 trat der Kläger in die IG Metall ein. Im Herbst des Folgejahres machte er schließlich gerichtlich geltend, dass sein Arbeitsverhältnis nach den einschlägigen Tarifverträgen zu behandeln sei. Deshalb sei er nur zur Leistung von 35 Wochenarbeitsstunden verpflichtet. Da er aber kontinuierlich 40 Stunden gearbeitet habe, stehe ihm eine Gutschrift von inzwischen 189,5 Stunden aus sein Arbeitszeitkonto zu.

Der Kläger obsiegte in erster und zweiter Instanz. Zwischen Berufung und Revision vereinbarte die Beklagte mit der IG Metall jedoch einen Haustarifvertrag, der zwar auf die früheren Verträge verwies, aber ebenfalls eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden vorsah. Das hatte natürlich Konsequenzen für das Revisionsverfahren vor dem BAG…

Nachbindung begründet kürzere Wochenarbeitszeit, aber keinen Anspruch auf Gutschrift von „Überstunden”

Das BAG gab der Revision der Beklagten teilweise statt. Seit Inkrafttreten des Haustarifvertrags fehle dem Kläger das für seine Klage erforderliche Feststellungsinteresse, da nunmehr geklärt sei, ob und welches Tarifrecht auf sein Beschäftigungsverhältnis anzuwenden seien.

Trotz der Entwicklungen im Ausgangsfall sei der Kläger bis zum Abschluss des Haustarifvertrags jedoch „nur” zu 35 Wochenarbeitsstunden verpflichtet gewesen. Denn durch den Beitritt des Klägers zur IG Metall im Juli 2006 sei eine beiderseitige Bindung an die zu diesem Zeitpunkt einschlägigen Tarifverträge entstanden und daran habe infolge der Nachbindung auch der Verbandsaustritt der Beklagten nichts geändert.

Und dennoch scheiterte er mit seinem Anliegen, die zu viel geleisteten Arbeitsstunden auf sein Arbeitszeitkonto gutschreiben zu lassen. Dies begründet das BAG mit der Überlegung, dass schon die Betriebsvereinbarung über die Einführung dieses Kontos von einer 40-Stunden-Woche ausgegangen war. Im Sinne der Betriebsvereinbarung hatte der Kläger also keine „Überstunden” erbracht, weshalb er auch keine Zeitgutschrift verlangen könne. Zugleich spricht das Gericht dem Kläger jedoch immerhin einen Vergütungsanspruch für die tarifvertragswidrig erbrachten Arbeitszeiten zu.

Damit hat die Nachbindungswirkung letztlich dem Kläger also doch eine gewisse Vergünstigung gebracht, wenn auch nicht die erwünschte.

Arbeitsbedingungen werden üblicherweise nicht nur (individuell) im Arbeitsvertrag vereinbart, sondern ergeben sich vielfach (auch) aus Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen. Dabei ist aber das gesetzlich vorgegebene Rangverhältnis dieser Regelwerke zu beachten.

Tarifvertrag „verdrängt” individuelle Abmachungen und Betriebsvereinbarungen

Im Verhältnis von Tarifvertrag und Arbeitsvertrag gilt, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch individuelle Vereinbarung nur zugunsten des Arbeitnehmers von einem für sie verbindlichen Tarifvertrag abweichen dürfen. Das Tarifwerk verhindert also einerseits jede arbeitsvertragliche Benachteiligung eines einzelnen Arbeitnehmers, sofern der Vertrag sie nicht im Rahmen einer sog. Öffnungsklausel ausdrücklich zulässt. Andererseits kann er einer individuell vereinbarten Begünstigung des Arbeitnehmers grundsätzlich nicht entgegenstehen. Dieses Rangverhältnis von Tarif- und Einzelarbeitsvertrag nennt man Günstigkeitsprinzip, § 4 III Tarifvertragsgesetz (TVG).

Dieses Günstigkeitsprinzip gilt auch im Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung, sodass letztere grundsätzlich ebenfalls nur zugunsten der Arbeitnehmer vom Tarifwerk abweichen dürfen. Daneben gibt es aber auch bestimmte Arbeitsbedingungen, die einer tarifvertraglichen Regelung vorenthalten sind (s. §§ 77 III, 87 I Betriebsverfassungsgesetz, kurz: BetrVG).

Tarifvertragliche Arbeitszeitvereinbarung genießt „Verfassungsvorrang”

Zu diesen einem Tarifvertrag vorbehaltenen Regelungspunkten gehört u.a. die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit.

Im Allgemeinen kann nach § 87 I Nr. 2 BetrVG zwar eine Betriebsvereinbarung über Arbeitszeiten getroffen werden. Besteht aber bereits eine tarifvertragliche Regelung, so ist nach §§ 77 III 1, 87 I BetrVG ausschließlich diese zu beachten.

Den Grund für die unangefochtene Vorrangstellung des Tarifvertrags sieht das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 17.05.2011 (Az.: 1 AZR 473/09) in der verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit der am Tarifschluss beteiligten Gewerkschaft. Wird dennoch eine zusätzliche Betriebsvereinbarung geschlossen, steht der betroffenen Arbeitnehmervereinigung daher ein Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu.

Der Ausgangsfall

Der Rechtsstreit betrifft die Konkurrenz von Tarifverträgen der IG Metall mit einer Betriebsvereinbarung über die Wochenarbeitszeit. Eine Arbeitgeberin war Mitglied eines Arbeitgeberverbandes der Metall- und Elektroindustrie und wandte die zwischen dem Verband und der IG Metall geschlossenen Tarifverträge an. Nach dem gültigen Regelwerk betrug die regelmäßige Wochenarbeitszeit 35 Stunden. Dennoch vereinbarte die Arbeitgeberin in einer 2006 in Kraft tretenden Betriebsvereinbarung eine wöchentliche Arbeitszeit von insgesamt 40 Stunden. Zudem sah die Vereinbarung einen Ausgleichsbonus für die Arbeitnehmer vor, der aber leistungs- und erfolgsabhängig war. Im August 2008 wurde die Betriebsvereinbarung wieder aufgehoben.

Die IG Metall (Klägerin) verlangte von der Beklagten, die Rechtsnachfolgerin der genannten Arbeitgeberin ist, den betroffenen Arbeitnehmern individuell eine Abgeltung der wöchentlich zusätzlichen fünf Arbeitsstunden zu leisten. Dadurch sollte die Beeinträchtigung ihrer Koalitionsfreiheit durch die konkurrierende Betriebsvereinbarung kompensiert werden.

Gewerkschaften können Beseitigung verlangen, aber keinen finanziellen Ausgleich für die Arbeitnehmer

Das BAG entschied jedoch, dass einer Gewerkschaft, deren verfassungsrechtliche Tarifautonomie durch den Abschluss einer tarifwidrigen Betriebsvereinbarung beeinträchtigt ist, keinen eigenen Anspruch auf den Ausgleich von Entgeltnachteilen zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer hat. Sie sei vielmehr darauf beschränkt, den Arbeitgeber aufzufordern, die Betriebsvereinbarung nicht weiter umzusetzen, also ihre Anwendung zu unterlassen.

Die kollektive Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft aus Art.9 III GG sei nämlich nicht durch die Vorenthaltung tariflicher Leistung zulasten der Arbeitnehmer beeinträchtigt, sondern ausschließlich durch den Abschluss der nachteiligen und tarifwidrigen Betriebsvereinbarung als solcher. Sobald diese aufgehoben werde, sei aber auch der Eingriff in die Tarifautonomie der Arbeitnehmervereinigung beendet. Und vor ihrer Aufhebung könne die Gewerkschaft Lohnverluste der Arbeitnehmer ebenso wenig als (eigenen) Schaden geltend machen.

Wer Mitglied einer Gewerkschaft ist, genießt einerseits verschiedene Vorteile, muss aber andererseits Beitragszahlungen erbringen. Auch nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer (sog. Außenseiter) profitieren jedoch häufig von tarifvertraglichen Regelungen, sei es, weil ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde oder weil er kraft (individueller) Vereinbarung in ihren Arbeitsvertrag einbezogen wurde.

Manch ein Gewerkschaftsmitglied dürfte sich angesichts dieser Sachlage schon gefragt haben, warum man dann überhaupt noch Beiträge zahlen soll, wenn doch auch Außenseiter – zumindest in gewissem Umfang – begünstigt werden…

Tarifvertragsrecht darf einseitig Gewerkschaftsmitglieder begünstigen,…

Um nun zu verhindern, dass Arbeitnehmer aus einer Gewerkschaft austreten bzw. gar nicht erst Mitglied werden, versuchen Arbeitnehmervereinigungen immer wieder, tarifvertraglich bestimmte Privilegien zu vereinbaren, die nur ihren Mitgliedern zustehen.

Dies geschieht u.a. durch sog. „einfache Differenzierungsklauseln”, durch die sich der Arbeitgeber verpflichtet, bestimmte Sonderleistungen ausschließlichen den Mitgliedern seines Tarifvertragspartners zuzuwenden. Diese Praxis hat das Bundesarbeitsgericht auch bislang gebilligt, denn die Funktion einer Gewerkschaft besteht ja gerade darin, den Inhalt der Arbeitsverträge ihrer Mitglieder positiv zu beeinflussen.

In einer weiteren Entscheidung hat sich das Gericht aber gegen sog. „Abstands-” oder „Spannensicherungsklauseln” gewandt (Az.: 4 AZR 366/09, Urteil vom 23.03.2011).

…aber nicht zu einer permanenten Schlechterstellung anderer Arbeitnehmer führen

Mit einer „Spannensicherungs-” oder „Abstandsklausel” wollen Gewerkschaften eine dauerhafte und uneinschränkbare Privilegierung ihrer Mitglieder erreichen.

Wenn z.B. ein Arbeitgeber den Angestellten, die nicht Mitglied der tarifvertragsschließenden Gewerkschaft sind, zum Ausgleich für einen nur Gewerkschaftsmitgliedern zustehenden Vorteil eine bestimmte Leistung (z.B. Lohnerhöhung um die Summe X) zukommen lassen will, dann soll er kraft der Abstandsklausel verpflichtet sein, den Gewerkschaftsmitgliedern dieselbe Begünstigung (im Beispiel also ebenfalls eine Lohnsteigerung um den Betrag X) einzuräumen.

Mit anderen Worten: Egal, in welcher Form der Arbeitgeber den anderen Arbeitnehmern eine (ausgleichende) Leistung gewährt, die Gewerkschaftsmitglieder haben stets einen Anspruch auf dieselbe Leistung und werden so permanent bevorzugt.

Eine derartige Konstruktion ist nach dem BAG jedoch unwirksam, da sie die „Tarifmacht” der Arbeitnehmervereinigungen überschreitet. Denn diese erlaubt es den Gewerkschaften nur, den Inhalt der Arbeitsverhältnisse ihrer eigenen Mitglieder verbindlich mitzubestimmen.

Was der Arbeitgeber hingegen mit seinen übrigen Angestellten vereinbart, unterliegt allein seiner Gestaltungsfreiheit. Er muss daher die Möglichkeit haben, zwar einerseits Gewerkschaftsmitgliedern bestimmte Privilegien einzuräumen, aber andererseits den hiervon ausgeschlossenen Arbeitnehmern wenigstens einen Ausgleich gewähren können, um letztlich eine Gleichstellung all seiner Angestellten herbeizuführen.

Der Ausgangsfall

Die oben genannte Entscheidung betrifft die Gewerkschaft „ver.di”, die 2008 mit einem Unternehmen der Hafen-Logistik (Kläger) einen Tarifvertrag über „Erholungsbeihilfen” geschlossen hatte. Nach dem Regelwerk (Ziffer I) hatten nur ver.di-Mitglieder einen Anspruch auf diese Leistung, die sich pro Jahr auf 260,- € belaufen sollte.

Für den Fall, dass der Kläger auch den Arbeitnehmern, die keiner oder einer anderen Gewerkschaft angehören, „entsprechende oder sonstige Leistungen” erbringen sollte, war er nach Ziffer V des Tarifvertrags verpflichtet, diese zusätzlich auch den ver.di-Mitgliedern zu gewähren. Ver.di-Mitglieder sollten also von der tarifvertraglichen Erholungsbeihilfe und von vergleichbaren Leistungen an die übrigen Arbeitnehmer profitieren.

Der Kläger begehrte daher die arbeitsgerichtliche Feststellung, dass die einfache Differenzierungsklausel (Ziffer I) sowie auch die Abstandsklausel in Ziffer V des Tarifvertrags über Erholungsbeihilfen unwirksam waren.

Das BAG bestätigte nun zwar die Wirksamkeit der Differenzierungsklausel, sodass die tarifvertragliche Erholungsbeihilfe tatsächlich nur ver.di-Mitgliedern zusteht. Die Abstandsklausel hielt es jedoch für unwirksam, sodass der Kläger den übrigen Arbeitnehmern entsprechende Leistungen erbringen kann, auf die wiederum die Gewerkschaftsmitglieder keinen (zusätzlichen) Anspruch haben.

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Ein Tarifvertrag ist ein Vertrag zwischen einer Gewerkschaft (Arbeitnehmervertretung) und einem Arbeitgeber oder einem Arbeitgeberverband. Tarifverträge bestehen aus zwei Teilen: Schuldrechtlicher Teil: Setzt Rechte und Pflichten der Tarifvertragsparteien fest.

Normativer Teil: Klauseln, die Rechtsnormen darstellen und Abschluss, Inhalt und Beendigung von Arbeitsverhältnissen ebenso betreffen wie die Betriebsverfassung (§§ 1, 4 TVG).

Die Möglichkeit, ohne staatliche Mithilfe durch Vertrag Rechtsnormen zu setzen, die unmittelbar zwingend sind, ist einzigartig und beruht auf Art 9 Abs. 3 des Grundgesetzes.

Tarifvertragsarten

Wird ein Vertrag zwischen einer Gewerkschaft und einer Arbeitgebervereinigung geschlossen, liegt ein Verbandstarifvertrag vor. Ist Vertragspartner auf Arbeitgeberseite ein einzelner Arbeitgeber, so spricht man von einem Firmentarifvertrag. Eine Zwischenform stellen firmenbezogene Verbandstarifverträge dar, die zwar durch eine Gewerkschaft und einen Arbeitgeberverband geschlossen werden, aber nur ein bestimmtes Unternehmen betreffen.

Ferner können Tarifverträge inhaltlich abgegrenzt werden. Während sich besondere Tarifverträge auf einzelne Aspekte des Arbeitslebens beziehen (z.B. Lohntarifvertrag), erstrecken sich Mantel- oder Rahmentarifverträge auf allgemeine Arbeitsbedingungen schlechthin.

Bindung an den Tarifvertrag

Grundvoraussetzung ist die Wirksamkeit des Arbeits- und Tarifvertrags; insbesondere müssen die Vertragsparteien tarifzuständig sein.

In persönlicher Hinsicht entsteht die tarifliche Bindung zunächst durch die Verbandsmitglied-schaft von Arbeitnehmer und -geber, wenn diese also Mitglied einer Gewerkschaft bzw. Arbeitgebervereinigung sind. Diese Tarifgebundenheit beginnt mit dem Eintritt in den jeweiligen Verband und bleibt trotz zwischenzeitlichem Austritt solange bestehen, wie der vereinbarte Tarifvertrag (noch) in Kraft ist (Nachbindung, § 3 Abs. 3 TVG).

Ein Arbeitgeber ist zudem an einen Firmentarifvertrag gebunden, den er selbst mit einer Arbeitnehmervereinigung geschlossen hat.

Ist nur der Arbeitgeber Mitglied einer Tarifvertragspartei, so sind die Teile eines Tarifvertrages, die betriebs- und betriebsverfassungsrechtliche Normen beinhalten, zwingend anwendbar (§ 3 Abs. 2 TVG).

Tariflich ungebunden sind demgegenüber Arbeitnehmer, die keiner Gewerkschaft angehören („Außenseiter“). Dennoch kann eine Bindungswirkung herbeigeführt werden: Zum einen, in dem ein Tarifvertrag durch den zuständigen Bundesminister für allgemeinverbindlich erklärt wird, und zum anderen durch vertragliche Vereinbarung von Arbeitgeber und -nehmer.

Durch arbeitsvertragliche Einbeziehung erlangt der Tarifvertrag insgesamt nur schuldrechtliche Wirkung. Eine derartige Vereinbarung kann ausdrücklich oder durch betriebliche Übung erfolgen, bzw. zwecks Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer geboten sein. Sie kann statisch einen ganz bestimmten Tarifvertrag, den Tarifvertrag einer bestimmten Branche oder den jeweils aktuellen Tarifvertrag einer Branche erfassen. Hiervon hängt ab, wie sich z.B. spätere Änderungen des Tarifvertrags auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Auch kann der Tarifvertrag insgesamt oder in bestimmten Teilen einbezogen werden.

In sachlicher Hinsicht kann der Geltungsbereich eines Tarifvertrages in seiner Reichweite verschieden vereinbart werden, soweit nur die Grenze der Tarifzuständigkeit gewahrt ist:

Zum einen kann der Geltungsbereich nach Branchen bestimmt werden (z.B. Tarifvertrag für metallverarbeitende Berufe). Kann ein Betrieb mehreren Branchen zugeordnet werden (sog. Mischbetrieb), ist entscheidend, welche Tätigkeiten die Arbeitnehmer überwiegend ausführen: Arbeiten z.B. 60% der Belegschaft mit Metall, so ist der Geltungsbereich eines Tarifvertrages metallverarbeitender Berufe eröffnet, auch wenn die übrigen 40% der Arbeitnehmer nach ihrem Aufgabengebiet anderen Branchen zugeordnet werden könnten.

Wird der Geltungsbereich fachlich-persönlich bestimmt, kommt es darauf an, welcher Arbeitnehmergruppe ein Beschäftigter zugeordnet werden kann, z.B. nach Beruf oder Alter. Diese Zuordnung nennt man Eingruppierung. Zeitlich gilt ein Tarifvertrag grundsätzlich ab dem Tag, an dem er geschlossen wurde, selten später oder gar rückwirkend. Der Tarifvertrag bleibt in Kraft, bis er durch Fristablauf endet, ordentlich gekündigt, durch einen neuen Vertrag ersetzt oder aufgehoben wird. Aus wichtigem Grunde kann auch eine außerordentliche Kündigung desselben die Anwendbarkeit des Tarifvertrages beenden. Dann aber muss die kündigende Partei zunächst eine Vertragsanpassung erstreben („Nachverhandlungspflicht“). Gemäß § 4 Abs. 5 TVG gilt der normative Teil eines Tarifvertrags auch nach seinem Außerkrafttreten fort, bis eine neue Vereinbarung getroffen wurde – er ist aber, wie auch die Wirkung des § 4 Abs. 5 TVG insgesamt, vertraglich abdingbar. Wird der Geltungsbereich räumlich definiert, so gilt ein Tarifvertrag für alle Betriebe, die in diesem Gebiet ihren Sitz haben.

Verhältnis von Tarifvertrag zu …

… Einzelarbeitsvertrag

Ein Arbeitsvertrag kann grds. von einem einschlägigen Tarifvertrag abweichen. Nach dem Günstigkeitsprinzip des § 4 Abs. 3 TVG ist eine Abweichung allerdings nur wirksam, solange sie den Arbeitnehmer begünstigt. Eine einzelvertragliche Benachteiligung kann den Tarifvertrag allerdings dann verdrängen, wenn dieser eine derartige Abweichung ausdrücklich zulässt (Öffnungsklausel). Maßstab des Günstigkeitsprinzips ist ein objektiver Vergleich bestimmter Regelungsgruppen. Eine Gruppe bilden z.B. die jeweiligen Vereinbarungen über Lohn und sonstige Leistungszahlungen. Die subjektive Sicht des betroffenen Arbeitnehmers ist insofern irrelevant.

Tarifverträge beinhalten jeweils Mindestregelungen, dürfen aber nicht ausschließen, dass ein Arbeitsvertrag zu übertariflichen Konditionen geschlossen wird. Auch kann der Tarifvertrag nicht individualvertragliche Rechte oder Ansprüche des Arbeitnehmers beschneiden. Denkbar ist aber eine Verrechnung von übertariflichen Leistungen aus dem individuellen Arbeitsvertrag mit Verbesserungen tariflicher Leistungen, sodass ein bisheriger Vorteil gegenüber einem Tarifvertrag „abgeschmolzen“ wird. Ein derartiger Vorgang kann nach dem BAG nicht tarifvertraglich vorgeschrieben werden, sondern muss sich aus der Auslegung des Einzelarbeitsvertrags ergeben.

Auf „Außenseiter“ finden einzelne Teile des Tarifvertrags Anwendung (s.o.). Gewerkschaften versuchen jedoch, tarifvertragliche Sonderleistungen allein ihren Mitgliedern vorzuenthalten, um diese zu behalten und neue Mitglieder zu werben. Da das BAG einen unzulässigen Druck auf Nichtmitglieder befürchtet, hält es folgende Klauseln für rechtswidrig:

* Organisationsklausel: Ein Arbeitgeber darf keine Personen einstellen, die nicht oder in einer anderen Gewerkschaft Mitglied sind.

* Tarifausschlussklausel: Verbot an einen Arbeitgeber, eine tarifliche Leistung auch „Außenseitern“ zu gewähren.

* Normative Spannensicherungsklausel: Eine tarifliche Leistung darf zwar auch „Außenseitern“ gewährt werden, aber in geringerem Umfang als Gewerkschaftsmitgliedern. Diese müssen also besser gestellt werden.

* Demgegenüber zulässig ist eine Außenseiterklausel, die zur Gleichstellung von Gewerkschaftsmitgliedern und „Außenseitern“ führt.

… arbeitsvertraglicher Einheitsregelung, Gesamtzusage und betrieblicher Übung:

Nach der Rechtsprechung kann ein jüngerer Tarifvertrag Nachteile zulasten des Arbeitnehmers gegenüber bisherigen arbeitsvertraglichen Einheitsregelungen, Gesamtzusagen und betrieblichen Übungen festschreiben. Das Günstigkeitsprinzip (s.o.) ist demnach – jedenfalls bisher – unanwendbar.

… Betriebsvereinbarung:

Im Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung gilt das Günstigkeitsprinzip im Sinne des § 4 Abs. 3 TVG, sodass Abweichungen einer Betriebsvereinbarung vom Tarifvertrag grds. nur zugunsten des Arbeitnehmers zulässig sind. Nachteilige Vereinbarungen bedürfen einer Ermächtigung durch den Tarifvertrag (Öffnungsklausel). Das Günstigkeitsprinzip ist für bestimmte Bereiche kraft Gesetz ausgeschlossen (vgl. §§ 77 Abs. 3, 87 Abs. 1 BetrVG); diese Gebiete sind vorrangig durch Tarifvertrag zu regeln bzw. diesem vorenthalten. Wird dennoch eine Betriebsvereinbarung geschlossen, die z.B. die Entlohnung (§ 77 Abs. 3 BetrVG) betrifft, so ist die Vereinbarung unwirksam. Existierte eine solche schon bevor ein Tarifvertrag geschlossen wurde, gilt nunmehr der Tarifvertrag. Entscheidend ist also allein der Tarifvertrag und nicht die Betriebsvereinbarung.

… Gesetz:

Auf Grund der Sonderstellung des Tarifvertrags, Regelungen mit Gesetzeswirkung hervorzubringen (s.o.), ist es möglich, dass mal das Gesetzesrecht dem Tarifvertrag vorgeht, mal umgekehrt. Man unterscheidet die folgenden Kategorien:

* Zweiseitig zwingendes Gesetz:

Das Gesetz verdrängt einen anders lautenden Tarifvertrag unabhängig davon, ob er zugunsten oder zulasten der Arbeitnehmer von der gesetzlichen Regelung abweicht.

* Einseitig zwingendes Gesetz:

Abweichungen vom Gesetz durch Tarifvertrag sind wirksam, sofern sie nur zugunsten der Arbeitnehmer erfolgen (Regelfall).

* Tarifdispositives Gesetz:

Das Gesetz erlaubt tarifvertragliche Abweichungen zugunsten und zulasten der Arbeitnehmer. Gegenüber einer Betriebsvereinbarung oder einem Einzelarbeitsvertrag geht das Gesetz vor. Welcher Art ein Gesetz ist hängt davon ab, welchem Regelungszweck es dient. Bei Unsicherheiten im Einzelfall ist die Konsultation eines Anwalts anzuraten.

… Richterrecht:

Tarifvertragsrecht setzt sich gegenüber Richterrecht durch. Auch eine Billigkeitskontrolle des Tarifvertrags entfällt, da vermutet wird, dass die Belange der Arbeitnehmer hinreichend berücksichtigt wurden.

Mehrheit von Tarifverträgen

Fragen nach dem Verhältnis mehrerer Tarifverträge untereinander können sich in mehrfacher Hinsicht ergeben.

Zum einen ist in zeitlicher Hinsicht zu klären, welcher Tarifvertrag maßgeblich sein soll, ein jüngerer oder ein älterer. Diese Frage stellt sich vor allem, wenn tarifvertragliche Leistungen zurückgenommen werden sollen und eine ältere Regelung daher für den Arbeitnehmer günstiger war.

Grundsätzlich gilt: Der jüngere Tarifvertrag ist anwendbar, weil er den alten Tarifvertrag ersetzt. Strengere Voraussetzungen gelten, wenn ein neuer Tarifvertrag Rückwirkung entfalten soll (z.B. Vertrauensschutz) – unmöglich ist diese jedoch nicht!

Wenn der Geltungsbereich mehrerer Tarifverträge innerhalb eines Betriebs eröffnet ist, sind verschiedene Konkurrenzsituationen zu unterscheiden:

Tarifkonkurrenz: Ein Arbeitsverhältnis ist mehreren Tarifverträgen unterworfen. Nach dem Grundsatz der Tarifeinheit muss sich ein Tarifvertrag gegenüber den anderen durchsetzen. Entscheidend sind Vorrangklauseln in den konkurrierenden Verträgen selbst, andernfalls gilt der sachnähere Tarifvertrag. Zu berücksichtigen ist auch die Nachbindung an Tarifverträge gemäß § 3 Abs. 3 TVG beim Wechsel des Arbeitgeberverbandes.

Tarifpluralität: Verschiedene Arbeitsverhältnisse unterliegen verschiedenen Tarifverträgen. Nach der Rechtsprechung des BAG ist Tarifpluralität wie Tarifkonkurrenz zu behandeln, sodass im Ergebnis allein der speziellere Tarifvertrag gilt. Hilfsweise kann berücksichtigt werden, an welchen Tarifvertrag die meisten Arbeitnehmer kraft Gewerkschaftsmitgliedschaft gebunden sind.

Lohnansprüche verjähren regelmäßig binnen drei Jahren, § 195 BGB. Durch Tarifvertrag, Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarungen können jedoch deutlich kürzere Fristen (z.B. drei Monate ab Fälligkeit), sog. Ausschlussfristen, vereinbart werden. Geläufig ist auch die Bezeichnung als Verfallfrist.

[box type=”alert”]Achtung: Ausschlussfristen bewirken, dass der Lohnanspruch erlischt![/box]

Sobald dieser nicht pünktlich gezahlt wird, sollte also nicht lange gewartet werden, sondern zügig der Rechtsweg eingeschlagen und anwaltlicher Rat eingeholt werden.

Eine Ausschlussfrist kann auch für den Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers im Krankheitsfall vereinbart sein, sodass gleichfalls zu raschem Handeln zu raten ist.

Tarifvertragliche Ansprüche:

Diese können nur einer tarifvertraglich vereinbarten Ausschlussfrist unterliegen, § 4 Abs. 4 Satz 3 TVG. Auch die gesetzliche Verjährungsfrist – anstelle der Ausschlussfrist – kann nicht einzelvertraglich gekürzt werden, solange nur ein Anspruch aus Tarifvertrag betroffen ist.

Ansprüche aus Betriebsvereinbarungen:

Ausschlussfristen betreffs Arbeitnehmerrechten aus Betriebsvereinbarungen können nur durch Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung, nicht aber einzelarbeitsvertraglich begründet werden, § 77 Abs. 4 Satz 4 BetrVG. Ebenso ist eine Kürzung gesetzlicher Verjährungsfristen nur auf diesem Wege herbeizuführen.

Ein Einzelarbeitsvertrag kann somit nur Ausschlussfristen für Ansprüche enthalten, die sich einzig aus ihm selbst ergeben, sodass die §§ 4 Abs. 4 Satz 3 TVG, 77 Abs. 4 Satz 4 BetrVG nicht entgegenstehen.