Öffentliche Einrichtungen werden aus den unterschiedlichsten Gründen privatisiert, z.B. zur Förderung des Wettbewerbs oder schlichtweg um Geld zu sparen.
So ähnlich geschah es auch bei den Universitätskliniken in Gießen und Marburg. Beide Einrichtungen waren offenbar nicht profitabel genug, weshalb sie durch das zum 01.07.2005 in Kraft tretende UKG (Gesetz über die Errichtung des Universitätsklinikums Gießen und Marburg) zwecks späterer Privatisierung zusammengelegt wurden.
Dieser Vorgang wurde Gegenstand mehrerer Gerichtsentscheidungen…
Der Ausgangsfall
Nach dem UKG sollten alle Zuständigkeiten, Pflichten und Rechte der beiden Universitätskliniken auf das „Universitätsklinikum Gießen und Marburg”, eine Anstalt des öffentlichen Rechts, übergehen. Nach § 3 I 1 und 3 UKG wurden dementsprechend zumindest die Arbeitsverhältnisse der nichtwissenschaftlich Beschäftigten vom Land Hessen auf die neu zu bildende Anstalt übergeleitet. Dadurch kam es für die Betroffenen faktisch zu einem Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB. Abweichend von dieser Norm (vgl. § 613a VI BGB) gestand § 3 UKG den Arbeitnehmern jedoch kein Widerspruchsrecht gegen den Wechsel ihres Arbeitgebers zu.
Gemäß der Absicht des Gesetzgebers wurde das Universitätsklinikum Gießen und Marburg 2006 in eine GmbH umgewandelt, an der das Land Hessen nur noch zu 5% beteiligt war. Die übrigen 95% verkaufte es nämlich einem privaten Krankenhausbetreiber, der im Gegenzug versichern musste, bis Ende 2010 keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen.
Gegen diesen Vorgang legte eine Krankenschwester (Beschwerdeführerin) Widerspruch ein. Sie beantragte im Klagewege die Feststellung, dass sie weiterhin Arbeitnehmerin des Landes Hessen sei. Während ihr das Arbeitsgericht Recht gab, scheiterte sie jedoch vor dem Landesarbeits- und Bundesarbeitsgericht. Die Gerichte führten aus, der Beschwerdeführerin stehe kein Widerspruchsrecht zu und dies sei aus „vernünftigen Gründen des Gemeinwohls” auch ebenso hinzunehmen wie der Betriebsübergang an sich (vgl. z.B. BAG, Urteil vom 18.12.2008, Az.: 8 AZR 660/07).
Daraufhin legte die Krankenschwester Verfassungsbeschwerde ein wegen Verletzung ihrer Berufsfreiheit (Art. 12 I GG) und ihres Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 I 2 GG).
Gesetzlicher Wechsel des Arbeitgebers verletzt (potentiell) die Berufsfreiheit
Art. 12 I GG gewährleistet u.a. das Recht, den eigenen Arbeitsplatz frei auszuwählen. Der gesetzliche Austausch des Arbeitgebers durch das UKG stellt nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 25.01.2011 (Az.: 1 BvR 1741/09) jedoch einen Eingriff in eben dieses Recht dar, da der Beschwerdeführerin durch die Zusammenlegung und Privatisierung ein „nicht frei gewählter Arbeitgeber aufgedrängt” und der „von (ihr) gewählte Arbeitgeber entzogen” worden sei.
Diesen Grundrechtseingriff stufte das BVerfG als gravierend ein, weil die Betroffenen letztlich aus dem öffentlichen Dienst ausscheiden mussten, da sie sich – mangels Widerspruchsrecht – nicht zur Wehr setzen konnten.
Und dieser Umstand könne verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt werden.
Arbeitnehmer müssen gegen Übergang ihres Arbeitsverhältnisses vorgehen können
Zwar kann ein Land nach dem zitierten Beschluss kraft seiner Organisationsgewalt öffentliche Einrichtungen privatisieren, sodass das UKG einem legitimen Zweck dient. Die Versagung eines Widerspruchsrechts sei, so das BVerfG, auch geeignet und erforderlich, um die Privatisierung zu fördern. Da aber die Privatautonomie der Arbeitnehmer verletzt wird, wenn sie einen gesetzlichen Wechsel ihres Arbeitgebers „einfach so” hinnehmen müssen, hielt das Gericht die Regelungen des § 3 UKG im Ergebnis für unverhältnismäßig und verfassungswidrig.
So bemängelte das BVerfG, dass das Land Hessen durch den Betriebsübergang, die Privatisierung und den Verkauf der Gesellschaftsanteile den Bestandsschutz der betroffenen Arbeitsplätze erheblich verminderte: Hätte man den Betroffenen ein Widerspruchsrecht zugestanden und hätten sie die Fortführung ihrer Arbeitsverhältnisse mit ihrem vorherigen Arbeitgeber verlangt, hätte dieser zwar betriebsbedingt kündigen können. Dann aber hätten sie zumindest noch Kündigungsschutz genossenen. Indem ihnen das Land Hessen die Möglichkeit nahm, die Fortsetzung zu verlangen, hat es ihnen diese Schutzmöglichkeit faktisch entzogen.
Außerdem gewährt Art. 12 I GG nach dem BVerfG Arbeitnehmern angesichts eines Betriebsübergangs das Recht, selbst zu bestimmen, ob sie widersprechen möchten oder den Vorgang hinnehmen. Weder der Gesetzgeber noch die Gerichte seien befugt, durch Einräumung oder Versagung eines Widerspruchsrechts, diese Entscheidung vorwegzunehmen. Vielmehr dürfe der Gesetzgeber bei einer Privatisierung nicht einseitig seine Interessen als bisheriger Arbeitgeber verfolgen und dabei die Rechte der Arbeitnehmer, insbesondere zur freien Wahl des Arbeitsplatzes, aus den Augen verlieren.
Schließlich weist das BVerfG darauf hin, dass im Zuge eines Betriebsüberganges „eine” Möglichkeit eingeräumt werden muss, überhaupt das Fortbestehen des bisherigen Arbeitsverhältnisses geltend zu machen. Das muss nicht zwingend ein Widerspruchsrecht nach dem Vorbild von § 613a VI BGB sein, aber „irgendein” effektives Abwehrmittel muss bestehen. Da § 3 UKG jedoch keinerlei Abwehrmöglichkeit eröffnete, erklärte das Gericht diese Regelung für insgesamt unverhältnismäßig. Das Land Hessen muss daher nun bis zum 31.12.2011 eine Neuregelung treffen, nach deren Maßgabe das Landesarbeitsgericht über den Fall neu zu entscheiden hat.
Kein Widerspruchsrecht kraft europäischem Unionsrecht
Soweit die Beschwerdeführerin vortrug, ihr Fall hätte dem Gerichtshof der Europäischen Union vorgelegt werden müssen, weil auch das Unionsrecht ein Widerspruchsrecht fordere, wies das Gericht ihre Beschwerde jedoch zurück.
Weder der Betriebsübergangsrichtlinie 2001/23/EG noch der Rechtsprechung des Gerichtshofs könne ein solches Recht ausdrücklich entnommen werden. Dort werde nur betont, dass betroffene Arbeitnehmer nicht gezwungen werden könnten, für den Betriebserwerber zu arbeiten. Deshalb mussten die deutschen Arbeitsgerichte nicht annehmen, die Versagung eines Widerspruchrechts zum Zwecke der Fortsetzung des bisherigen Arbeitsverhältnisses verletze Unionsrecht.
Da eine Vorlage an den EuGH somit nicht geboten war, verletzte die Nichtvorlage auch nicht das Recht der Beschwerdeführerin auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 I 2 GG.