Anerkennung einer PTBS als (Wie-)Berufskrankheit, „Teil 2“
Viele berufliche Tätigkeiten bergen leider Risiken, die zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen können, besser bekannt als Berufskrankheiten. Voraussetzung für die Anerkennung einer bestimmten Krankheit als Berufskrankheit im Sinne von § 9 des Siebten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) ist es, dass sie in der jeweils aktuellen Berufskrankheitenverordnung (BKV) aufgeführt ist.
Sollte dies nicht der Fall sein, besteht gemäß § 9 II SGB VII die Möglichkeit einer Anerkennung als „Wie-Berufskrankheit“, einer Krankheit, die zwar nicht als Berufskrankheit gilt, aber „wie“ eine solche entschädigt wird.
Bereits vor einiger Zeit war an dieser Stelle über den Fall eines heute 67jährigen Diplom-Sozialarbeiters (Kläger) berichtet worden, der seit 1968 als hauptamtlicher Mitarbeiter in der Entwicklungshilfe tätig war. Im Laufe seiner Beschäftigung und den mit dieser verbundenen zahlreichen Auslandsaufenthalten u.a. auf Madagaskar, in Mali, Niger und Togo war er immer wieder mit psychisch belastenden Ereignissen konfrontiert. So nicht zuletzt in seiner Funktion als Referatsleiter „Westafrika“ des Deutschen Entwicklungsdienstes (DED), die mit zahlreichen Reisen in Krisengebiete verbunden war. Auch die Sorge um die ihm unterstellten Mitarbeiter setzte ihm stark zu. All dies führte bei dem Kläger zur Entwicklung einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). Anfang 1999 zeigte der DED der zuständigen Berufsgenossenschaft (Beklagte) deswegen eine Berufskrankheit an. Mit Bescheid vom 08.02.2000 lehnte diese die Anerkennung der PTBS als Berufskrankheit jedoch ab, weil sie nicht in der BKV aufgeführt sei. Per Widerspruch forderte der Kläger die Beklagte auf, die PTBS als „Wie-Berufskrankheit“ anzuerkennen, was die Widerspruchsstelle der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 25.07.2000 ebenfalls ablehnte. Das Sozialgericht Freiburg hob 2005 diese Bescheide auf und verurteilte die Beklagte, die PTBS als „Wie-Berufskrankheit“ anzuerkennen und entsprechend zu entschädigen. Die Berufung der Beklagten zum Landessozialgericht Baden-Württemberg scheiterte (wie schon früher berichtet).
Mit Urteil vom 20.07.2010 (Az.: B 2 U 19/09 R) hat das Bundessozialgericht nun aber die Revision der Beklagten für teilweise begründet erklärt.
Gegenstand dieses Verfahrens waren drei Fragen: Durften die Sozialgerichte den ursprünglichen Verwaltungsakt und den Widerspruchsbescheid insoweit aufheben, als es um die Anerkennung der PTBS als Berufskrankheit geht? Durften die Gerichte der Feststellungsklage des Klägers, die PTBS sei als „Wie-Berufskrankheit“ zu entschädigen, stattgeben? Durften die Gerichte schließlich den Widerspruchsbescheid aufheben, soweit er die Anerkennung der PTBS als „Wie-Berufskrankheit“ ablehnte? Gleich vorab: Nur die letzte Frage wurde bejaht.
Das BSG führt zunächst aus, dass der Ausgangsbescheid vom 08.02.2000 und auch der Widerspruchsbescheid nicht aufgehoben werden durften, sofern es um die Ablehnung ging, die PTBS als Berufskrankheit zu entschädigen. Diese Aufhebung war nämlich nie das Ziel des Klägers gewesen, sodass die Revision insoweit begründet war.
Dies galt auch hinsichtlich der Feststellungsklage des Klägers: Über die Anerkennung der PTBS als „Wie-Berufskrankheit“ hatte nämlich allein die Widerspruchsstelle der Beklagen entschieden, aber nicht der an sich zuständige Rentenausschuss. Mangels Beteiligung der zuständigen Stelle habe der Kläger noch kein berechtigtes Interesse an der gerichtlichen Feststellung der Anerkennung als „Wie-Berufskrankheit“ gehabt, sodass seine Klage unzulässig war.
Unbegründet war die Revision aber, soweit sie sich gegen die Aufhebung des Widerspruchsbescheides bzgl. der Anerkennung als „Wie-Berufskrankheit“ richtete: Insofern sei der Widerspruchsbescheid vom 25.07.2000 nämlich formell rechtswidrig, weil mit der Widerspruchsstelle der Beklagten eine funktionell und sachlich unzuständige Behörde entschieden hatte (s.o.). Da dieser Fehler nicht geheilt werden könne, sei der Widerspruchsbescheid daher rechtswidrig und aufzuheben.
Für den Kläger bedeutet das, dass er nun eine Entscheidung des zuständigen Rentenausschusses herbeiführen muss, ob in seinem Fall die PTBS als „Wie-Berufskrankheit“ anzuerkennen und zu entschädigen ist.
Zur Verfahrensbeschleunigung gibt das BSG der zuständigen Stelle aber einige Hinweise mit auf den Weg: Nach § 9 II SGB VII sei eine Krankheit als „Wie-Berufskrankheit“ zu behandeln, falls sie gemäß § 9 I 2 SGB VII auch in die BKV aufgenommen werden könnte und dies bislang noch nicht geschehen sei. Daraus ergäben sich fünf Voraussetzungen für die Einordnung als „Wie-Berufskrankheit“:
- Ein Versicherter müsse den Antrag auf Feststellung einer bestimmten Krankheit als „Wie-Berufskrankheit“ stellen.
- Diese Krankheit dürfe keine Listen-Berufskrankheit sein, also noch nicht in der BKV aufgeführt sein.
- Es müssen Einwirkungen vorliegen, denen eine bestimmte Personengruppe infolge ihrer versicherten Tätigkeit in erheblich größerem Umfang als die restliche Bevölkerung ausgesetzt ist. Für diesen Ursachen- bzw. Einwirkungszusammenhang müssen ferner medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen.
- Diese medizinischen-wissenschaftlichen Erkenntnisse müssen neu, also bei der letztmaligen Änderung der BVK noch nicht berücksichtigt worden sein (weil es sie noch nicht gab oder weil sie „übersehen“ wurden).
- Schließlich muss im konkreten Fall nachgewiesen werden, dass die Einwirkungen auch in diesem Einzelfall berufsbedingt zu der Erkrankung führten.
Übertragen auf den zu entscheidenden Fall hält das Gericht die Punkte 1, 2 und 4 offenbar für unproblematisch gegeben.
Schwieriger zu beantworten ist die Frage der berufsbedingten Einwirkung auf den Kläger als Teil einer besonders bedrohten Personengruppe und des wissenschaftlichen Nachweises des Ursachenzusammenhangs. Die Vergleichsgruppe ist nach dem BSG nicht nach einer Berufszugehörigkeit zu bestimmen, sondern nach Maßgabe einer dreistufigen Prüfung: In einem ersten Schritt seien die (psychischen) Einwirkungen zu ermitteln, die abstrakt-generell zu der jeweiligen Krankheit führten. Zweitens müsse geprüft werden, ob diese – ebenfalls abstrakt-generell – der beruflichen und versicherten Tätigkeit des Betroffenen zuzurechnen seien. Und schließlich sei die versicherte Tätigkeit mit den krankheitsbezogenen Einwirkungen in Verbindung zu setzen. Insofern hält es das Gericht für „nicht ausgeschlossen“, die PTBS als Listen-Berufskrankheit einzuführen.
Allerdings muss es abstrakt-generelle wissenschaftliche Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen den berufsbedingten schädigenden Einwirkungen einerseits und der anzuerkennenden Krankheit andererseits geben. Diese Frage sei nach der sozialrechtlich vorherrschenden Theorie der wesentlichen Bedingung zu beantworten, die aber zunächst die Existenz eines naturwissenschaftlichen Ursachenzusammenhangs voraussetzt. Nach dem BSG ist zu verlangen, dass die Mehrheit der – auf diesem Gebiet hinreichend spezialisierten – medizinischen Sachverständigen nach Maßgabe wissenschaftlich fundierter Erkenntnisse einen Ursachenzusammenhang der berufsbezogenen Einwirkungen für ein bestimmtes Krankheitsbild bejaht. Bei der entsprechenden medizinischen Begutachtung könnten vorliegend auch Erkenntnisse aus der „‚militärischen‘ Forschung“ oder die „Leitlinien der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften“ zugrunde gelegt werden.
Zur Frage des konkreten Vorliegens der abstrakten Voraussetzungen einer „Wie-Berufskrankheit“ (Punkt 5) weist das BSG schließlich darauf hin, dass die Bedrohungslage der Mitarbeiter des Klägers nur dann relevant sei, wenn ein „enger personaler Bezug“ bejaht werden könnte. Im Übrigen verweist es auf seine bisherige Rechtsprechung zur Behandlung psychischer Folgen von Arbeitsunfällen, die entsprechend heranzuziehen sei.
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