Posttraumatische Belastungsstörung als Berufskrankheit eines hauptamtlichen Entwicklungshelfers

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Eine Krankheit ist nach § 9 I SGB VII dann eine Berufskrankheit, wenn sie infolge einer versicherten Tätigkeit eintritt und zusätzlich als Berufskrankheit anerkannt ist. Für welche Erkrankungen dies zutrifft, ist grundsätzlich der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung zu entnehmen.

Sollte eine Krankheit dort aber (noch) nicht aufgeführt sein, so kann sie dennoch wie eine Berufskrankheit (sog. Quasi-Berufskrankheit) behandelt, also entschädigt, werden, wenn sie nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen auf Einwirkungen beruht, denen eine bestimmte Personengruppe durch ihren Beruf viel häufiger ausgesetzt ist als der Rest der Bevölkerung (vgl. § 9 II SGB VII, sog. Gruppentypik).

Nach einem Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 14.05.2009 (Az.: L 6 U 845/06) ist insoweit ausreichend, wenn es jedenfalls „wahrscheinlich“ ist, dass eine bestimmte Personengruppe infolge ihrer versicherten beruflichen Tätigkeit in erheblich höherem Grade als der Rest der Bevölkerung an einer bestimmten Krankheit leidet. Dies bedeute, dass bei Abwägung aller Umstände die Faktoren überwiegen müssen, die für eine berufliche Verursachung der Krankheit sprechen. Es müsse mit anderen Worten der geltenden ärztlich-wissenschaftlichen Lehrmeinung entsprechen, dass ein Zusammenhang zwischen versicherter Tätigkeit und Krankheit bestehe, der nicht ernsthaft bezweifelt wird.

Die Entscheidung betrifft den Fall eines mittlerweile 66 Jahre alten Diplomsozialarbeiters (Kläger), der über 30 Jahre als hauptamtlicher Entwicklungshelfer in verschiedenen Krisengebieten tätig war. Zuletzt war er als Referatsleiter verantwortlich für 250 Mitarbeiter des DED und einen Etat von 35.000.000,- DM. Bei seiner Tätigkeit wurde er über die Jahre hinweg immer wieder mit Gewalt, Tod, Vergewaltigung, schweren Verkehrsunfällen, Krieg, Erschießungen, schweren Erkrankungen seiner Mitarbeiter etc. konfrontiert.

Bereits seit 1996 litt der Kläger u.a. unter ausgeprägten Einschlafstörungen, massiven Alpträumen, intensiven Schuldgefühlen und Selbstvorwürfen (bzgl. der Diensteinteilung von Mitarbeitern), Konzentrationsstörungen, gesteigerter Reizbarkeit und Hypervigilanz. Bereits damals wurde ihm attestiert, an einer sog. posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zu leiden, die auf zahlreiche lebensbedrohliche und bürgerkriegsähnliche Situationen, in die der Kläger bei Ausübung seiner Tätigkeit geraten war (s. auch obige Aufzählung), zurückzuführen sei. Seit 1999 bezieht der Kläger eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit.

Ebenfalls seit 1999 befindet sich der Kläger darüber im Rechtsstreit mit dem zuständigen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung (Beklagter), ob er an einer entschädigungspflichtigen Berufskrankheit leidet. Die PTBS ist nicht in der oben genannten Anlage aufgeführt. Im Folgenden wurden jedoch zahlreiche Sachverständigengutachten eingeholt, die sich überwiegend dafür aussprachen, dass ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Tätigkeit des Klägers und seiner Erkrankung gegeben sei. Allerdings bezog sich die in Bezug genommene medizinische Fachliteratur überwiegend auf Soldaten, Polizisten, Feuerwehrleute und Katastrophenhelfer, nicht aber auf hauptamtliche Entwicklungshelfer. Auch wurde bei einem Teil der zugrundegelegten Literatur bezweifelt, ob diese den Grundsätzen wissenschaftlicher Methodik gerecht werde. Aus diesem Grunde bestritt der Beklagte wiederholt, dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorlägen wie sie von § 9 II SGB VII (bzw. § 551 II der auf den Fall noch anwendbaren Reichsversicherungsordnung, im Folgenden: RVO) gefordert werden.

Das LSG Baden-Württemberg entschied indes zugunsten des Klägers, dass er an einer PTBS leide, die gemäß § 551 II RVO (bzw. § 9 II SGB VII) wie eine Berufskrankheit zu entschädigen sei.

Zwar erfordere der Zusammenhang, ob eine bestimmte Krankheit berufsbedingt bei einer bestimmten Personengruppe häufiger auftrete als beim Rest der Bevölkerung, nach der Rechtsprechung des BSG grundsätzlich eine „langfristige zeitliche Überwachung derartiger Krankheitsbilder“ und einen „Nachweis einer Fülle gleichartiger Gesundheitsbeeinträchtigungen“, um festzustellen, ob tatsächlich eine berufliche Verursachung gegeben ist. Das LSG will aber nicht nur auf derartige epidemiologische Erkenntnisse abstellen. Der Nachweis einer Fülle gleichartiger Erkrankungen sei zwar ein wichtiges Anzeichen dafür, dass eine bestimmte Personengruppe durch ihren Beruf in erhöhtem Maße der Gefahr einer bestimmten Krankheit ausgesetzt sei. Relevante wissenschaftliche Erkenntnisse könnten aber auch auf andere Weise gewonnen werden, z.B. durch Auswertung ärztlicher Erfahrungen, Einzelfallstudien und Analogieschlüsse zu vergleichbaren Berufsgruppen.

Ein derartiger Analogieschluss biete sich vorliegend im Vergleich zu Polizisten, Soldaten, Feuerwehrleuten und Rettungssanitätern, jedenfalls soweit sie in Krisengebieten tätig sind, an, da Entwicklungshelfer in etwa den gleichen Belastungen wie diese ausgesetzt seien. Bei diesen Vergleichsgruppen sei die erhöhte Anfälligkeit für eine PTBS auch bereits wissenschaftlich fundiert nachgewiesen. Die Vergleichbarkeit dieser Berufsgruppen gehe auch aus den vorgelegten Gutachten und wissenschaftlichen Abhandlungen hervor. Ferner stellt das Gericht auf eine Diplomarbeit ab, in der kürzlich nachgewiesen wurde, dass Mitarbeiter des Entwicklungsdienstes insgesamt 15mal so oft von einer PTBS betroffen seien wie die Normalbevölkerung in Deutschland. Schließlich sei auch zu beachten, dass mangels besonderer wirtschaftlicher oder militärischer Interessen nicht erwartet werden könne, dass überhaupt einmal aufwändige epidemiologische Untersuchungen konkret zur besonderen Gefährdung hauptamtlicher Entwicklungshelfer, an einer PTBS zu erkranken, durchgeführt werden.

Im Ergebnis lägen damit durchaus neue wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die für eine Anerkennung der PTBS als Quasi-Berufskrankheit sprächen, zumal auch die individuellen Voraussetzungen von § 9 SGB VII bzw. § 551 RVO (Zusammenhang von versicherter Tätigkeit und Erkrankung im konkreten Einzelfall) eindeutig gegeben seien. Folglich war der Beklagte dem Grunde nach entschädigungspflichtig.

Wegen der grundlegenden Bedeutung dieser Thematik wurde allerdings die Revision zum Bundessozialgericht zugelassen.

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