Sobald „Schwierigkeiten“ im Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnis eines Schwerbehinderten auftreten, muss der Arbeitgeber nach § 84 SGB IX u.a. die Schwerbehindertenvertretung und das Integrationsamt informieren, damit der Arbeitsplatz des Betroffenen nach Möglichkeit erhalten werden kann. Die zu benachrichtigenden Stellen sollen auf alle zur Verfügung stehenden Hilfsmöglichkeiten inklusive etwaiger finanzieller Leistungen hinweisen und beratend zur Seite stehen, um eine Kündigung abzuwenden. Irrelevant ist dabei, ob die sich stellenden Probleme personen-, verhaltens- oder betriebsbedingt sind und ob sie im (direkten) Bezug zur Schwerbehinderung stehen. Weiterlesen
Blinde Menschen können nach den jeweiligen Landesgesetzen die Zahlung eines Blindengeldes verlangen. So profan dies auch klingen mag, setzt ein etwaiger Anspruch natürlich voraus, dass der Anspruchsteller „blind“ ist. Wann ein Mensch blind ist oder zumindest als blind gilt, kann aber eine im Einzelfall schwer zu beantwortende Frage sein.
Nach einem Urteil des bayerischen Landessozialgerichts vom 27.07.2004 (Az.: L 15 BL 1/02) setzt der Anspruch auf Blindengeld jedenfalls keine völlige Erblindung voraus. Ein Leistungsanspruch könne vielmehr auch dann gegeben sein, wenn einerseits das Sehorgan geschädigt ist und andererseits eine höher, also oberhalb der Sehrinde, angesiedelte cerebrale (= das Gehirn betreffende) Störung existiert, sodass der Betroffene durch Kombination dieser Beeinträchtigungen „praktisch nicht sehen“ könne. Weiterlesen
Wenn ein Mensch die Feststellung seines individuellen Grades der Behinderung (GdB) nach dem Neunten Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) beantragt (§ 69 SGB IX), dann müssen die zuständigen Behörden zunächst einmal ermitteln, welche regelwidrigen, dauerhaften Gesundheitsstörungen vorliegen, die die Lebensführung des Antragstellers beeinträchtigen. Diesen wird dann – früher nach Maßgabe der sog. AHP, nunmehr nach den sog. VMG – erst ein Einzel-GdB zugeordnet, aus dem sich schließlich der Gesamt-GdB des Betroffenen ergibt.
Dabei kann sich jedoch die Problematik stellen, dass ein Mensch unter mehreren Gesundheitsstörungen leidet, von denen die eine (mittelbar) Ursache der anderen ist, so. z.B. bei Tumorerkrankungen. Hier ist zu entscheiden, ob diese zusammen mit einem einheitlichen Einzel-GdB zu bewerten sind oder ob zwei Einzel-GdB zu bilden sind. Eine Antwort gibt ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 30.09.2009 (Az.: B 9 SB 4/08 R), jedenfalls für operativ bedingte zusätzliche Gesundheitsstörungen. Weiterlesen
Schwerbehinderte, in deren Ausweis das Merkzeichen „B“ eingetragen ist, haben nicht nur ein Recht auf freie Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV), sondern können darüber hinaus auch eine Begleitperson umsonst mitnehmen. Dies gilt für innerdeutsche Bahn- und Busverbindungen sowie für Flüge. Außerdem können Eintrittsgelder für den Besuch öffentlicher Einrichtungen (anteilig) gekürzt werden.
Aber natürlich hat nicht jeder Schwerbehinderte einen Anspruch auf Eintragung dieses Merkzeichens. Nach einem Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 24.09.2009 (Az.: L 11 SB 77/09) besteht z.B. grundsätzlich kein entsprechender Anspruch eines Gehörlosen auf kostenlose Mitnahme einer Begleitperson, wenn er eine Gehörlosenschule abgeschlossen hat und des Lesens und Schreibens kundig ist. Weiterlesen
Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX gilt ein Mensch als behindert, wenn seine Körperfunktionen, seine geistigen Fähigkeiten oder seine seelische Gesundheit voraussichtlich länger als sechs Monate „von dem für sein Lebensalter typischen Zustand“ abweicht, sodass seine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt ist.
Ein Maßstab für das Vorliegen einer (Schwer-)Behinderung ist also das Alter des Betroffenen. Was aber soll der „alterstypische Zustand“ sein und wie kann man ihn allgemein definieren?
So hat das bayerische Landessozialgericht bereits in einem Urteil vom 12.12.2002 (Az.: L 18 SB 22/01) darauf hingewiesen, dass weder bei sehr jungen noch bei älteren Menschen sicher bestimmt werden könne, welcher geistige, seelische oder körperliche Zustand alterstypisch sei. Weiterlesen
Die Anerkennung einer Schwerbehinderung setzt zunächst einen Antrag des Betroffenen gemäß § 69 V des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB IX) voraus. Im sich anschließenden Feststellungsverfahren (§ 69 I SGB IX) wird dann ermittelt, ob eine Schwerbehinderung im Sinne von § 2 II SGB IX vorliegt.
Leider kann es jedoch vorkommen, dass der Antragsteller – gerade bei Vorliegen einer schweren Erkrankung – während dieses Verfahrens verstirbt. Für diesen Fall hat das Landessozialgericht Baden-Württemberg durch Urteil vom 18.06.2009 (Az.: L 6 SB 286/08) unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts entschieden, dass ein Anspruch auf Feststellung des individuellen Grades der Behinderung (GdB) oder eines Nachteilsausgleiches (Ausweismerkzeichen) mit dem Tod des Antragstellers entfällt. Weiterlesen
Bereits mehrfach wurde an dieser Stelle darauf hingewiesen, dass die Bewertung des individuellen Grades der Behinderung (GdB) seit dem 01.01.2009 nicht mehr nach den jeweils geltenden „Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit“ (AHP) erfolgt, sondern nach den „Versorgungsmedizinischen Grundsätzen“ (VMG) der Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV).
In einem Urteil vom 28.08.2009 weist das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (L 13 SB 294/07) darauf hin, dass diese VMG aber auch für Sachverhalte vor dem 01.01.2009 anzuwenden seien, sofern noch keine bestandskräftige Entscheidung über einen Behinderungsgrad nach den AHP vorliege. Ferner zeigt das Gericht dort unter Berufung auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Besonderheiten auf, die bei der Bewertung eines Diabetes mellitus zu beachten sind. Weiterlesen
Die Feststellung des individuellen Behinderungsgrades (GdB) oder die Anerkennung von leistungsanspruchsbegründenden Nachteilsausgleichen in Form von Merkzeichen im Schwerbehindertenausweis (z.B. „Bl“, „aG“, „G“ etc.) erfolgte bis einschließlich zum 31.12.2008 nach den sog. AHP (ausgeschrieben: Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht) in der jeweils geltenden Fassung.
Bei den AHP handelte es sich nicht um einen Rechtssatz im weitesten Sinne, sondern um eine Art „vorweggenommener Sachverständigengutachten“, die es den Medizinern erleichtern sollten, den individuellen GdB eines Patienten zu beurteilen. Um eine einheitliche Bewertung sicher zu stellen, waren die Gerichte im Falle eines Rechtsstreits (z.B. um das Vorliegen einer Schwerbehinderung oder der „richtigen“ Bemessung des GdB) nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gehalten, die AHP ebenfalls anzuwenden. Dadurch erlangten die AHP normähnliche bzw. gewohnheitsrechtliche Wirkung. Weiterlesen
Jürgen Sauerborn
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Medizinrecht
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