Nachteilsausgleich „aG“: Was ist eine außergewöhnliche Gehbehinderung?

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Nach § 69 IV des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) stellen die zuständigen Behörden auf Antrag nicht nur den Grad der Behinderung (GdB) fest, sondern auch, ob weitere gesundheitliche Merkmale vorliegen, die zur Inanspruchnahme eines sog. Nachteilsausgleiches berechtigen.

Der Nachteilsausgleich „aG“ steht dabei für eine „außergewöhnliche Gehbehinderung“. Wer dieses Merkzeichen in seinem Schwerbehindertenausweis eingetragen hat, hat Anspruch auf Steuer- sowie Parkerleichterungen im öffentlichen Straßenverkehr.

Unter welchen Voraussetzungen ein Anspruch auf Zuteilung dieses Merkzeichens besteht, war Gegenstand eines Urteils des Bundessozialgerichts vom 10.12.2002 (Az.: BSG B 9 SB 7/01 R). Demzufolge kommt es zunächst auf eine straßenverkehrsrechtliche Verwaltungsvorschrift an, die zu § 46 der Straßenverkehrsordnung (StVO) erlassen wurde – immerhin geht es ja um die Frage, ob infolge der Schwerbehinderung besondere Parkplätze („Behindertenparkplätze“) genutzt werden dürfen.

[box type=”info”]Als „außergewöhnlich gehbehindert“ gelten demnach zunächst Personen, die sich außerhalb ihres Kraftfahrzeuges dauerhaft nur mit fremder Hilfe oder eigenständig nur unter großer Kraftanstrengung bewegen können. Ausdrücklich aufgeführt werden: Querschnittsgelähmte, Doppeloberschenkelamputierte, Doppelunterschenkelamputierte, Hüftexartikulierte, einseitig Oberschenkelamputierte (sofern sie kein Kunstbein oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können bzw. wenn ihnen zugleich ein weiterer Unterschenkel oder ein Arm amputiert worden ist).[/box]

Desweiteren sind aber auch „andere Schwerbehinderte“ berechtigt, das Merkzeichen zuerkannt zu bekommen, sofern sie nur infolge anderer Erkrankungen mit den genannten Berechtigten „vergleichbar“ sind. Und hier liegt nun das praktische Problem, nämlich zu bestimmen, unter welchen Umständen die erforderliche Vergleichbarkeit vorliegt. Das BSG führt hierzu aus, dass jemand den genannten Personengruppen gleichzustellen sei, sofern „seine Gehfähigkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist“ und er sich daher ebenfalls nur noch unter großen Anstrengungen oder mit der Hilfe anderer außerhalb von Kraftfahrzeugen bewegen könne. Dabei führt das Gericht sinngemäß aus, dass sich jeder pauschale Vergleich verbiete. So gebe es zwar Menschen, die trotz doppelter Amputation mittels guter, moderner Prothesen in der Lage seien, sich problemlos fortzubewegen, und zwar auch zu Fuß. Dieses Glück haben aber leider nicht alle Betroffenen, weshalb die erstgenannte Gruppe nicht ohne Weiteres zum allgemeinen Vergleichsmaßstab erhoben werden dürfe.

Keineswegs fordert das BSG, dass der Betroffene „nahezu fortbewegungsunfähig“ sein muss. Schon aus dem Begriff der „außergewöhnlichen Gehbehinderung“ folge, dass das Merkzeichen „aG“ auch solchen Menschen zustehe, die zwar noch gehen könnten, aber eben nur in gegenüber der Allgemeinheit stark eingeschränktem Maße. Entgegen der Rechtsprechung einiger Landessozialgerichte komme es auch nicht darauf an, wie viele Meter der Betroffene noch zu Fuß zurücklegen könne.

Das Urteil betraf den Fall eines Mannes, der an einer „spastischen Beinlähmung mit operiertem Spitzklumpfuß, Schwerhörigkeit beiderseits sowie Fehlstellung und Verschleißleiden der Wirbelsäule“ litt. Zuerkannt worden war ihm ein GdB von 100, ferner die Merkzeichen „G“ (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr), „B“ (Notwendigkeit ständiger Begleitung) und „RF“ (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht). Das Merkzeichen „aG“ wurde ihm jedoch verweigert, obwohl er sich nur noch mittels einer Gehhilfe und auch dann nur „schleppend, watschelnd, kleinschrittig und deutlich verlangsamt“ fortbewegen konnte. Zudem muss er nach jeweils 30 Metern eine Pause einlegen, bevor er überhaupt weitergehen kann. Seine Klage vor den zuständigen Gerichten scheiterte jedoch daran, dass er „nicht nahezu fortbewegungsunfähig“ und nicht zwingend auf einen Rollstuhl angewiesen sei. Das BSG konnte seinen Fall zwar mangels vollständig ermittelter Tatsachenlage nicht abschließend entscheiden. Es wies das LSG aber darauf hin, dass der Kläger angesichts des oben genannten Vergleichsmaßstabes sehr wohl an einer außergewöhnlich stark beeinträchtigten Gehfähigkeit leide. Sollte sich ferner erweisen, dass er die genannte Pause einlege, weil er bereits nach 30 Metern erschöpft sei, sei auch das Vorliegen der zweiten Voraussetzung – hier in Form der großen Kraftanstrengung – gegeben.

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