Schwerbehinderte Arbeitnehmer werden in Deutschland unter besonderen Schutz gestellt. Nach §§ 85, 91 SGB IX (Neuntes Buch des Sozialgesetzbuchs) darf ihnen z.B. nur mit Zustimmung des Integrationsamtes gekündigt werden.

Um seine Pflichten überblicken zu können, ist es für einen Arbeitgeber daher wichtig, zu wissen, ob einer seiner Angestellten schwerbehindert ist oder nicht. Deshalb werden in Vorstellungsgesprächen häufig entsprechende Fragen gestellt. Weiterlesen

Viele Arbeitnehmer sind befristet oder in Teilzeit beschäftigt. Für ihre Arbeitsverhältnisse sind daher die Regelungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes (TzBfG) zu beachten.

Dort heißt es in § 9 z.B., dass ein in Teilzeit angestellter Arbeitnehmer verlangen kann, dass seine vertragliche Arbeitszeit verlängert wird.

Teilzeitangestellte können Vollzeitbeschäftigung gemäß § 9 TzBfG verlangen

Ein Anspruch auf Verlängerung der vertraglich geschuldeten Arbeitszeit besteht aber (natürlich) nicht uneingeschränkt, sondern nur unter bestimmten Voraussetzungen.

Zunächst muss der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber mitteilen („anzeigen”), dass er seine Arbeitszeit gern verlängern möchte. Sobald nun eine Vollzeitstelle frei wird und neu besetzt werden soll, muss der Teilzeitbeschäftigte vorrangig berücksichtigt werden, sofern er über die für diese Stelle erforderlichen Fähigkeiten und Qualifikationen verfügt („Eignung”). Dieser Anspruch entfällt jedoch, falls ihm „dringende betriebliche Gründe” entgegenstehen oder wenn mehrere Teilzeitangestellte um dieselbe Vollzeitstelle konkurrieren.

Zudem ist § 9 TzBfG nur einschlägig, wenn ein Angestellter überhaupt in Teilzeit beschäftigt ist. Es gibt jedoch Fälle, in denen selbst diese an sich simpel anmutende Voraussetzung des Arbeitszeitverlängerungsanspruchs unklar ist. Das zeigt ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 21.06.2011 (Az.: 9 AZR 236/10).

Der Ausgangsfall

Der Kläger ist als Flugsicherungskraft für ein Wach- und Sicherheitsunternehmen (Beklagte) am Flughafen Köln/Bonn tätig. Seine monatliche Arbeitszeit für die Beklagte beträgt im Durchschnitt 188 Stunden. Nach dem für allgemeinverbindlich erklärten „Manteltarifvertrag für das Wach- und Sicherheitsgewerbe in NRW” beträgt die Mindestarbeitszeit einer Vollzeitbeschäftigung in dieser Branche 160 Stunden pro Monat.

Damit liegt augenscheinlich gar kein Teilzeitarbeitsfall vor. Der Schein trügt jedoch, wenn man den Arbeitsvertrag des Klägers in die Betrachtung mit einbezieht. Dort heißt es nämlich: „Der Angestellte ist verpflichtet, im monatlichen Durchschnitt 150 Stunden zu arbeiten …”

Der Kläger erhob nun jedenfalls Feststellungsklage darauf, dass seine monatliche Arbeitszeit 188 Stunden betrage. Hilfsweise verlangte er eine Arbeitszeitverlängerung gemäß § 9 TzBfG. Das zuständige Arbeitsgericht hielt bereits die Feststellungsklage für begründet, während das Landesarbeitsgericht Köln allein dem Hilfsantrag des Klägers stattgab. Dieser könne lediglich eine Arbeitszeitverlängerung auf 160 Stunden pro Monat verlangen.

Das BAG kam wiederum zu einem ganz anderen Ergebnis…

Unklare Arbeitszeitregelungen sind unwirksam

Das Bundesarbeitsgericht hält nämlich bereits die vertragliche Arbeitszeitenregelung für unwirksam. Dem Arbeitsvertrag des Klägers könne nicht klar entnommen werden, „innerhalb welchen Zeitraums der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit durchschnittlich 150 Stunden im Monat beschäftigen muss”. Unter diesen Voraussetzungen könne der Arbeitnehmer nicht eindeutig erkennen, wie lange er tatsächlich pro Kalendermonat arbeiten muss. Deshalb sei die oben zitierte Vertragsklausel, die als allgemeine Geschäftsbedingung im Sinne der §§ 305 ff. BGB zu qualifizieren sei, unklar und unverständlich. Wegen Verletzung des sog. Transparenzgebots ist sie folglich gemäß § 307 I BGB unwirksam.

Aus der Unwirksamkeit dieser Klausel folge aber nach § 306 BGB, dass die vereinbarte Arbeitszeitenregelung durch das einschlägige Tarifvertragsrecht ersetzt werde. Demnach sei die im oben genannten Manteltarifvertrag vereinbarte Mindestarbeitszeit für das Arbeitsverhältnis des Klägers maßgeblich. Da diese jedoch 160 Stunden pro Monat betrage, sei der Kläger nicht in Teil-, sondern in Vollzeit beschäftigt. Folglich stehe ihm kein Anspruch auf eine (weitergehende) Arbeitszeitverlängerung aus § 9 TzBfG zu.

Rechtsanwalt J. Sauerborn

Vor dem Gesetz gilt ein Mensch als behindert, wenn sein körperlicher, geistiger und/oder seelischer Zustand von dem für sein Lebensalter typischen abweicht, wodurch langfristig seine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben beeinträchtigt wird (vgl. § 2 I 1 des Neunten Buchs des Sozialgesetzbuchs, SGB IX).

Die Schwere seiner Behinderung wird dabei durch den sog. individuellen Grad der Behinderung (GdB) bestimmt.

Die Bestimmung des GdB erfolgt in drei Schritten

Der persönliche GdB wird in Zehnergraden von 10 – 100 ausgedrückt. Je höher er ist, desto mehr Leistungen erhält der Betroffene (z.B. Steuervergünstigungen, kostenlose Beförderung im ÖPNV u. v. m.).

Zur Feststellung des GdB müssen nach dem Bundessozialgericht zunächst die langfristigen und das Alltagsleben beeinträchtigenden Gesundheitsstörungen ermittelt werden. Jeder „Auffälligkeit” ist sodann ein eigner GdB zuzuordnen. Diese sog. Einzel-GdB werden schließlich in einem dritten Schritt zu einem Gesamt-GdB zusammengefasst, der die Wechselwirkung der einzelnen Gesundheitsbeeinträchtigungen berücksichtigt. Weiterlesen

Die Kündigung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung. Oder „zu Deutsch”: Sie wird vom Arbeitgeber erklärt und muss dem Arbeitnehmer (in Schriftform, § 623 BGB) zugehen, um wirksam zu werden. Wird sie in Abwesenheit des Betroffenen erklärt, folgt dies aus § 130 I BGB. Das gilt entsprechend natürlich auch für eine Kündigung seitens des Arbeitnehmers.

Arbeitgeber trägt das Übermittlungsrisiko seiner Kündigung

Zugang im Sinne von § 130 BGB bedeutet, dass eine Erklärung so in den „Machtbereich” des Empfängers gelangt ist, dass unter gewöhnlichen Voraussetzungen von seiner Kenntnisnahme hinsichtlich des Erklärungsinhalts auszugehen ist.

Mit anderen Worten muss derjenige, der kündigt, dafür sorgen, dass der Kündigungsadressat das Schreiben erhält und lesen kann. Dabei muss der Zugang durch den Erklärenden nachgewiesen werden, sollte dieser streitig sein.

Kündigung kann auch einem Empfangsboten übergeben werden

Das Risiko dafür, dass eine Erklärung tatsächlich zugeht, trägt somit grundsätzlich der Erklärende, bei der Kündigung folglich der kündigende Arbeitgeber (oder -nehmer).

In einem Urteil vom 09.06.2011 (Az.: 6 AZR 687/09) weist das Bundesarbeitsgericht daraufhin, dass es aber natürlich auch genügt, wenn der Arbeitgeber die Kündigung einem Empfangsboten des Arbeitnehmers übergibt. So bezeichnet man z.B. Personen, die mit dem Erklärungsadressaten in einer gemeinsamen Wohnung zusammenleben und die erwartungsgemäß über die nötige Reife und Fähigkeiten verfügen, um die Erklärung an diesen weiterzuleiten (z.B. Ehe-/Lebenspartner, ggf. auch Kinder).

In diesem Fall geht die Kündigung ebenfalls nur dann zu, wenn mit einer Weitergabe und entsprechender Kenntnisnahme – gewöhnlicherweise – gerechnet werden kann. Doch bereits die Umstände, unter denen eine Kündigung einem Empfangsboten des betroffenen Arbeitnehmers übergeben wird, können mitunter durchaus kurios sein…

Der Ausgangsfall

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts betrifft die Kündigung einer Geschäftsleitungsassistentin (Klägerin), die seit dem 03.02.2003 bei der beklagten Arbeitgeberin angestellt war. Wegen eines nicht näher umschriebenen Konflikts verließ sie am Morgen des 31.01.2008, lang vor Feierabend, ihren Arbeitsplatz. Noch am selben Tag kündigte ihr die Beklagte zum 29.02.2008.

Die Kündigung wurde allerdings nachmittags dem Ehemann der Klägerin übergeben, und zwar an dessen Arbeitsplatz in einem Baumarkt. Dort blieb das Schreiben zunächst liegen, erst am 01.02.2008 nahm der Ehemann den Brief mit nach Hause und gab ihn seiner Frau.

Im Rechtsweg wandte sich die Klägerin, die keinen Kündigungsschutz genießt, nun zwar nicht unmittelbar gegen die Kündigung, machte aber geltend, dass die Kündigungsfrist erst zum 31.03.2008 abgelaufen sei.

Die Entscheidung dieses Rechtsstreits hing entscheidend davon ab, in welchem Zeitpunkt die Kündigung tatsächlich zugegangen war. Denn war das Schreiben noch am 31.01.2008 zugegangen, galt nach § 622 II Nr. 1 BGB eine einmonatige Kündigungsfrist. Diese hätte sich erst dann um einen Monat verlängert, wenn der Zugang erst im Februar erfolgt wäre.

Das BAG entschied jedoch, dass die Kündigung noch am 31.01.2008 zugegangen war. Denn der Ehemann der Klägerin war einerseits ihr Empfangsbote und andererseits war damit zu rechnen, dass er den Brief am selben Tag mit nach Hause nimmt und übergibt. Es war deshalb von einer Kenntnisnahme durch die Klägerin noch am 31.01. auszugehen. Demgegenüber seien die konkreten Umstände, insbesondere der Ort der Übergabe an den Ehemann, irrelevant.

Der Erhalt einer Kündigung ist natürlich immer ein gravierendes und extrem deprimierendes Ereignis. Dennoch sollte man nicht einfach kapitulieren, sondern zumindest einmal hinterfragen, ob die Kündigung überhaupt rechtswirksam ist. Denn noch lange nicht alle Kündigungen führen tatsächlich zur Beendigung eines Arbeitsverhältnisses.

Der Betriebsrat muss vor der Kündigungserklärung angehört werden,…

Besteht in einem Unternehmen z.B. ein Betriebsrat, so setzt die Rechtswirksamkeit einer Kündigung voraus, dass dieser vor deren Ausspruch angehört wird (§ 102 I BetrVG, Betriebsverfassungsgesetz). Dieser Grundsatz hört sich einfach an, kann aber in der Praxis durchaus problematisch sein.

Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 09.06.2011 (Az.: 6 AZR 132/10) besteht die Anhörungspflicht u.a. auch dann, wenn die Wahl des an sich anzuhörenden Betriebsrats gerichtlich mit Erfolg angefochten wurde. Das gilt z.B. in dem Fall, in dem die Wahl des Betriebsrats zwar ursprünglich wirksam war, aber später – nach Zugang der streitigen Kündigung – für ungültig erklärt wird

Und auch bei der Arbeitnehmerüberlassung sind weitere Besonderheiten zu beachten, wie sich noch zeigen wird.

Der Ausgangsfall

Das oben genannte Urteil betrifft einen Mann, der von einer Stadt (Beklagte) zum 01.04.2008 befristet bis zum 31.12.2011 angestellt worden war. Die Beklagte wies ihn einvernehmlich einer GmbH zu, die sie gemeinsam mit der lokalen Agentur für Arbeit gegründet hatte („gemeinsame Einrichtung” auf Basis von § 44b SGB II).

Die gemeinsame Einrichtung hatte nur einen einzigen eigenen Angestellten, nämlich ihren Geschäftsführer. Dieser konnte den ihm zugewiesenen Arbeitskräften zwar Weisungen erteilen, besaß aber „keine weitergehenden Kompetenzen im personellen und sozialen Bereich”. Am 13.08.2008 wurde in der GmbH eine Betriebsratswahl durchgeführt, die durch Beschluss des Hessischen Landesarbeitsgerichts am 03.09.2008 jedoch für ungültig erklärt wurde. Dennoch sei die Wahl nicht von Anfang an nichtig gewesen.

Bereits am 22.09.2008 hatte der Kläger jedoch noch während der Probezeit die Kündigung erhalten. Zuvor hatte die Beklagte ihre Personalvertretung informiert und angehört, nicht aber den gerade frisch gewählten Betriebsrat der gemeinsamen Einrichtung. Wegen dieses Versäumnisses machte der Kläger gerichtlich geltend, die Kündigung sei gemäß § 102 I BetrVG unwirksam.

…aber nur der des “eigenen” Arbeitgebers!

Anders als die vorherigen Instanzen folgte das BAG der Argumentation des Klägers nicht.

Bei der Arbeitnehmerüberlassung sei nämlich nur der Betriebsrat desjenigen Unternehmens anzuhören, zu dem ein Arbeitsvertrag besteht. Das wäre also etwa ein Betriebsrat des Leiharbeitgebers, aber nicht der des entleihenden Unternehmens. Dies gelte für alle Formen der Überlassung von Arbeitskräften an ein anderes Unternehmen („Personalgestellung”).

Und so war es auch hier: Arbeitgeberin des Klägers war ausschließlich die Beklagte, da sie zwar mit der Arbeitsagentur eine gemeinsame Einrichtung betrieben habe, aber eben keinen gemeinsamen Betrieb. Die Kündigung konnte daher nur von der Beklagten erklärt werden und somit genügte es völlig, dass sie ihre eigene Personalvertretung vor Ausspruch der Kündigung angehört hatte. Damit hatte sie das Arbeitsverhältnis rechtswirksam beendet.

Insoweit war auch die Frage, ob und zu welchem Zeitpunkt die Ungültigkeit der Betriebsratswahl in der gemeinsamen Einrichtung eintrat, letztlich nicht prozessrelevant.

Im Falle eines Betriebsüberganges werden betroffene Arbeitnehmer durch § 613a BGB geschützt, der u.a. dazu führt, dass der Erwerber in das Beschäftigungsverhältnis eintritt und den bisherigen Arbeitgeber ersetzt. Ein Betriebsübergang bedeutet also nicht automatisch den Verlust des Arbeitsplatzes, sondern grundsätzlich „nur” den Wechsel des Arbeitgebers.

§ 613a BGB erfasst auch Betriebsübergänge ins (grenznahe) Ausland

Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 26.05.2011 (Az.: 8 AZR 37/10) ist § 613a BGB auch dann zu beachten, wenn im Zuge des Betriebsübergangs ein Betriebsteil in die Schweiz verlegt wird. Das gilt jedenfalls dann, wenn für den Arbeitsvertrag des von dem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmers deutsches Recht und somit eben auch § 613a BGB anzuwenden ist.

Der Ausgangsfall

Das Urteil betrifft ein in Südbaden angesiedeltes Unternehmen (Beklagter), dessen Konzernmutter in der Schweiz ebenfalls Unternehmen betreibt. Zum 01.01.2009 sollte nun auch ein Betriebsteil des Beklagten in die Schweiz an einen weniger als 60 km weit entfernten neuen Standort verlegt und von einem Schweizer Unternehmen desselben Konzerns fortgeführt werden.

Aus diesem Anlass erhielt ein Vertriebsingenieur (Kläger) zwei Kündigungen wegen der geplanten „Betriebsstilllegung”, aber auch ein Vertragsangebot von dem Schweizer Unternehmen, das er jedoch nicht annahm. Stattdessen erhob er Kündigungsschutzklage.

Kündigung wegen Betriebsteilverlegung in die Schweiz unwirksam

Hier nahm das BAG zunächst anstelle einer „Betriebsstilllegung” einen Betriebsübergang im Sinne von § 613a BGB an, weil das Schweizer Unternehmen alle wesentlichen immateriellen und materiellen Produktionsmittel des betroffenen Betriebsteils des Beklagten übernommen hatte. Das aber wiederum hieß, dass die Kündigungen durch den Beklagten gemäß § 613a IV BGB unwirksam waren, weil neben dem Verkauf des umgesiedelten Betriebsteils keine weiteren Kündigungsgründe geltend gemacht worden waren.

Dagegen lässt das BAG offen, ob der Kläger auch Ansprüche gegen das Schweizer Unternehmen hat.

Einen Abfindungsanspruch kann ein Arbeitnehmer auf unterschiedlichste Art und Weise erwerben, z.B. durch vertragliche Vereinbarung oder Gesetz (s. § 1a KSchG). Wurde ihm wegen einer (geplanten) Betriebsänderung rechtswirksam gekündigt, kann ein Abfindungsanspruch aber auch aus einem Sozialplan folgen.

Sozialpläne begründen Leistungsansprüche der Arbeitnehmer

Durch einen Sozialplan (§§ 111 ff. Betriebsverfassungsgesetz, kurz: BetrVG) sollen die wirtschaftlichen Nachteile einer Betriebsänderung zugunsten der von ihr betroffenen Arbeitnehmer zumindest gemildert oder gar völlig kompensiert werden (vgl. § 112 BetrVG). Zu diesem Zweck können dort z.B. Abfindungsansprüche ausgewiesen werden.

Dem Sozialplan, der gemeinsam mit dem Betriebsrat aufgestellt wird, kommt dieselbe Wirkung wie einer Betriebsvereinbarung zu (§ 112 I 3 BetrVG). Grundsätzlich haben die Arbeitnehmer nach den §§ 112 I 3, 77 IV BetrVG daher einen Anspruch auf die im Sozialplan vereinbarten Leistungen.

Erwerbsminderungsrente kann Abfindungsanspruch entfallen lassen

Nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 07.06.2011 (Az.: 1 AZR 34/10) kann ein Sozialplan aber vorsehen, dass ein Abfindungsanspruch solchen Arbeitnehmern vorbehalten wird, die arbeitsfähig sind und keine dauerhafte Erwerbsminderungsrente beziehen. Umgekehrt dürfen also Angestellte ausgeschlossen werden, die eine volle (ggf. befristete) Erwerbsminderungsrente beziehen, aktuell nicht beschäftigt werden und bei denen ein Wiedereintritt ihrer Arbeitsfähigkeit auch langfristig nicht prognostizierbar ist.

Was auf den ersten Blick wie eine unerhörte Benachteiligung erwerbsgeminderter Personen aussieht, rechtfertigt das BAG wie folgend: Die Sozialplanabfindung diene allein dem Zweck, wirtschaftliche Nachteile von Arbeitnehmern auszugleichen, die im Zuge einer Betriebsänderung ihren Arbeitsplatz und somit auch ihre Einnahmequelle verlieren. Wer aber bereits längere Zeit eine volle Erwerbsminderungsrente beziehe und auch künftig nicht wieder arbeitsfähig werde, erleide durch den Verlust seines Arbeitsplatzes keinen derartigen Nachteil, da ihm ja immer noch die Rentenleistungen verbleiben. Folglich komme es durch eine derartige Sozialplanvereinbarung nicht zu einer unmittelbaren Schlechterstellung erwerbsgeminderter Personen, denn sie würden nicht schlechter behandelt als andere in vergleichbarer Lage.

Wird ein Sozialplan aufgestellt, dürfen Arbeitgeber daher davon ausgehen, dass arbeitsunfähige Arbeitnehmer unter den genannten Voraussetzungen auch künftig keinen Lohn am Arbeitsmarkt erzielen werden, und dass ihnen deshalb kein Ausgleich für einen Lohnverlust in Form einer Sozialplanabfindung zu zahlen ist.

Der Ausgangsfall

Das Urteil betrifft den Sozialplan einer Arbeitgeberin (Beklagte), nach dem Arbeitnehmer dann keine Sozialplanabfindung erhalten, wenn sie gegenwärtig nicht arbeiten können, eine volle Erwerbsminderungsrente beziehen und falls auch künftig nicht zu erwarten ist, dass sie wieder arbeitsfähig sein werden. Erfasst werden sollten Angestellte, die seit mehr als drei Jahren arbeitsunfähig sind und entsprechende Rentenleistungen erhalten oder denen eine volle Erwerbsminderungsrente für mehr als drei Jahre bewilligt wurde.

Diese Regelung betraf u.a. einen Arbeitnehmer (Kläger), der Ende 2001 einen Wegeunfall erlitten hatte und seitdem dauerhaft arbeitsunfähig ist. Er bezieht seit dem 01.04.2003 eine Erwerbsminderungsrente, die zunächst bis zum 30.06.2007 und dann bis zum 30.06.2009 befristet war. Inzwischen wird die Rente unbefristet geleistet.

Aus betriebsbedingten Gründen wurde dem Kläger zum 31.12.2008 gekündigt. Auf Grundlage des geschlossenen Sozialplanes machte er nun einen Abfindungsanspruch über 220.000,- € geltend. Allerdings ohne Erfolg, wie man sich nach den Ausführungen des BAG bereits denken kann.

Das BAG wiederholt, dass dem Kläger durch die betriebsbedingte Kündigung keine weiteren wirtschaftlichen Nachteile entstünden, sodass den Arbeitgeber auch keine Ausgleichspflicht treffe. Mangels unmittelbarer Benachteiligung behinderter Personen sei der im Sozialplan vereinbarte Leistungsausschluss zulässig und stehe dem geltend gemachten Abfindungsanspruch des Klägers somit entgegen.

Arbeitsbedingungen werden üblicherweise nicht nur (individuell) im Arbeitsvertrag vereinbart, sondern ergeben sich vielfach (auch) aus Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen. Dabei ist aber das gesetzlich vorgegebene Rangverhältnis dieser Regelwerke zu beachten.

Tarifvertrag „verdrängt” individuelle Abmachungen und Betriebsvereinbarungen

Im Verhältnis von Tarifvertrag und Arbeitsvertrag gilt, dass Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch individuelle Vereinbarung nur zugunsten des Arbeitnehmers von einem für sie verbindlichen Tarifvertrag abweichen dürfen. Das Tarifwerk verhindert also einerseits jede arbeitsvertragliche Benachteiligung eines einzelnen Arbeitnehmers, sofern der Vertrag sie nicht im Rahmen einer sog. Öffnungsklausel ausdrücklich zulässt. Andererseits kann er einer individuell vereinbarten Begünstigung des Arbeitnehmers grundsätzlich nicht entgegenstehen. Dieses Rangverhältnis von Tarif- und Einzelarbeitsvertrag nennt man Günstigkeitsprinzip, § 4 III Tarifvertragsgesetz (TVG).

Dieses Günstigkeitsprinzip gilt auch im Verhältnis von Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung, sodass letztere grundsätzlich ebenfalls nur zugunsten der Arbeitnehmer vom Tarifwerk abweichen dürfen. Daneben gibt es aber auch bestimmte Arbeitsbedingungen, die einer tarifvertraglichen Regelung vorenthalten sind (s. §§ 77 III, 87 I Betriebsverfassungsgesetz, kurz: BetrVG).

Tarifvertragliche Arbeitszeitvereinbarung genießt „Verfassungsvorrang”

Zu diesen einem Tarifvertrag vorbehaltenen Regelungspunkten gehört u.a. die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit.

Im Allgemeinen kann nach § 87 I Nr. 2 BetrVG zwar eine Betriebsvereinbarung über Arbeitszeiten getroffen werden. Besteht aber bereits eine tarifvertragliche Regelung, so ist nach §§ 77 III 1, 87 I BetrVG ausschließlich diese zu beachten.

Den Grund für die unangefochtene Vorrangstellung des Tarifvertrags sieht das Bundesarbeitsgericht in einem Urteil vom 17.05.2011 (Az.: 1 AZR 473/09) in der verfassungsrechtlich garantierten Koalitionsfreiheit der am Tarifschluss beteiligten Gewerkschaft. Wird dennoch eine zusätzliche Betriebsvereinbarung geschlossen, steht der betroffenen Arbeitnehmervereinigung daher ein Beseitigungs- bzw. Unterlassungsanspruch gegen den Arbeitgeber zu.

Der Ausgangsfall

Der Rechtsstreit betrifft die Konkurrenz von Tarifverträgen der IG Metall mit einer Betriebsvereinbarung über die Wochenarbeitszeit. Eine Arbeitgeberin war Mitglied eines Arbeitgeberverbandes der Metall- und Elektroindustrie und wandte die zwischen dem Verband und der IG Metall geschlossenen Tarifverträge an. Nach dem gültigen Regelwerk betrug die regelmäßige Wochenarbeitszeit 35 Stunden. Dennoch vereinbarte die Arbeitgeberin in einer 2006 in Kraft tretenden Betriebsvereinbarung eine wöchentliche Arbeitszeit von insgesamt 40 Stunden. Zudem sah die Vereinbarung einen Ausgleichsbonus für die Arbeitnehmer vor, der aber leistungs- und erfolgsabhängig war. Im August 2008 wurde die Betriebsvereinbarung wieder aufgehoben.

Die IG Metall (Klägerin) verlangte von der Beklagten, die Rechtsnachfolgerin der genannten Arbeitgeberin ist, den betroffenen Arbeitnehmern individuell eine Abgeltung der wöchentlich zusätzlichen fünf Arbeitsstunden zu leisten. Dadurch sollte die Beeinträchtigung ihrer Koalitionsfreiheit durch die konkurrierende Betriebsvereinbarung kompensiert werden.

Gewerkschaften können Beseitigung verlangen, aber keinen finanziellen Ausgleich für die Arbeitnehmer

Das BAG entschied jedoch, dass einer Gewerkschaft, deren verfassungsrechtliche Tarifautonomie durch den Abschluss einer tarifwidrigen Betriebsvereinbarung beeinträchtigt ist, keinen eigenen Anspruch auf den Ausgleich von Entgeltnachteilen zugunsten der betroffenen Arbeitnehmer hat. Sie sei vielmehr darauf beschränkt, den Arbeitgeber aufzufordern, die Betriebsvereinbarung nicht weiter umzusetzen, also ihre Anwendung zu unterlassen.

Die kollektive Koalitionsfreiheit der Gewerkschaft aus Art.9 III GG sei nämlich nicht durch die Vorenthaltung tariflicher Leistung zulasten der Arbeitnehmer beeinträchtigt, sondern ausschließlich durch den Abschluss der nachteiligen und tarifwidrigen Betriebsvereinbarung als solcher. Sobald diese aufgehoben werde, sei aber auch der Eingriff in die Tarifautonomie der Arbeitnehmervereinigung beendet. Und vor ihrer Aufhebung könne die Gewerkschaft Lohnverluste der Arbeitnehmer ebenso wenig als (eigenen) Schaden geltend machen.